Meeresrauschen
sein, dachte ich, und mein Herz
zog sich krampfartig zusammen. Dieser Gedanke machte mir
Angst, und deshalb behielt ich ihn für mich, verbannte ihn in
die hinterste Ecke meines Bewusstseins, denn ich wollte nicht,
dass Gordy ihn aufschnappte. Keine Ahnung, wie ich es hinbekam,
aber es schien zu klappen, denn Gordy zeigte keine
Reaktion.
»Komm jetzt«, drängte er. »Dieses Herumrätseln bringt uns
nicht weiter. Außerdem möchte ich wissen, ob mit Ruby und
Ashton alles in Ordnung ist.«
Die beiden hatten die Räder bereits die Bootszufahrt hinaufgeschoben
und an der Befestigungsmauer abgestellt. Mit ernsten
Mienen blickten sie uns entgegen.
»Hey, Leute!«, begrüßte Ashton uns. »Ihr lebt ja noch!«
»Sehr witzig«, brummte Ruby und richtete ihre vor Aufregung
blitzenden Augen auf mich. »So, und jetzt erklär mir
bitte mal, was das da eben am Strand für eine Vorstellung war«,
forderte sie mich auf. »Ich hätte Tyler den Hals umgedreht …
wenn du mich gelassen hättest.«
»Tyler ist ein Hainix«, sagte ich ohne Umschweife. »Er hat
Gordy natürlich sofort erkannt.«
»Was?« Ruby schüttelte den Kopf. »Nein, das kann nicht
sein. Ich kenne Tyler schon seit der Grundschule. Er …«
»Das hat nichts zu bedeuten. Es gibt natürlich auch Hainixkinder
«, unterbrach ich sie. »Und es gibt sie schon seit langer
Zeit. Meine Urgroßmutter …«
»Ich weiß«, fiel Ruby mir ins Wort. »Deine Großtante hat es
mir erzählt.« Sie seufzte und nickte. »Wir müssen also davon
ausgehen, dass mittlerweile ganze Generationen von Hainixen
unter uns leben, oder?«
»Nein, das halte ich nicht für sehr wahrscheinlich«, erwiderte
ich. »Hainixe sind zwar Landgänger …«
Ruby blinzelte mich unsicher an. »So wie du?«
»Ja … nein …« Ich warf einen flüchtigen Blick auf Gordian.
»Ich bin wohl so etwas wie ein Sonderfall. Denn eigentlich
müssen Hainixe ins Meer, um Wasser zu atmen, durch die
Riffe zu tauchen …« Ich stockte, denn nach wie vor redete ich
hier über Dinge, von denen ich noch nicht besonders viel verstand.
»Je mehr wir sind, desto eher besteht die Gefahr, dass
ein Mensch einen von uns dabei beobachtet, wie er sich verwandelt
«, fuhr ich schließlich fort. »Außerdem sollten wir uns
nicht mit Menschen paaren. Denn auch dann liefen wir Gefahr,
dass unsere Tarnung auffliegt.«
Ruby nickte. Meine Erklärung schien ihr einzuleuchten.
Und mit einem Mal grinste sie. »Und ich habe mir Sorgen
gemacht, als Tyler vor Wut über die Trennung von Lauren zu
weit rausgesurft ist!« Sie tippte sich an die Schläfe. »Kein Wunder,
dass Cyril damals so gelassen darauf reagie…« Sie brach
ab und sah mich erschrocken an. »Wisst ihr eigentlich, was
mit ihm passiert ist? Könnte er vielleicht für immer ins Meer
zurückgegangen sein?«
»Nein, er ist noch hier«, beruhigte ich sie. »Allerdings wird
er eine Weile nicht in die Cobo Bay kommen.«
»Ka-Katzenkacke!«, meldete sich Ashton zu Wort. Er zuckte
mit dem Kopf hin und her und legte seinen Arm ein wenig
umständlich um Rubys Schulter. »E-er muss doch wissen, dass
s-sie ihn v-vermisst.«
»Das ist Unsinn«, brummte Ruby. »Cyril ist ganz sicher der
Letzte, den ich vermisse. Meinetwegen soll er machen, was
er will. Ich fand es einfach nur seltsam, dass er plötzlich verschwunden
war.«
Ich schaute zu Gordy, um mich zu vergewissern, ob er es
in Ordnung fand, wenn ich ihr und Ashton erzählte, was mit
Cyril passiert war, und als er kaum merklich nickte, fasste ich
das Ganze in ein paar knappen Sätzen zusammen.
»Oh«, sagte Ruby und noch einmal: »Oh.« Es schien mir so,
als müsse sie sich mächtig zusammenreißen, um sich nicht anmerken
zu lassen, wie sehr diese Nachricht sie bestürzte. »Und
ich dachte, bei Nixen heilen Wunden besonders schnell. Zumindest
hat deine Großtante das gesagt«, beeilte sie sich hinzuzusetzen.
»Nicht, wenn ihre Hülle beschädigt wird«, sagte Gordian.
Ruby schüttelte den Kopf. »Ihre was?«
»Es ist so: Normale Hainixe und Delfinnixe sind von einer
Hülle umgeben, die ihnen den äußeren Anschein eines Tieres
gibt«, erklärte ich. »Ein
normaler
Mensch kann sie deshalb auch
nicht von
normalen
Haien und Delfinen unterscheiden.«
»Aha …« Ruby krauste die Stirn.
»Kannst du mir folgen?«, fragte ich nach.
»Ähm, ja … k-kann sie«, antwortete Ashton an ihrer Stelle.
»Ähm, ich zumindest kann es … Knackarsch.«
»Blödmann«, sagte Ruby und verpasste ihm einen Kuss auf
die Wange. Dann sah sie wieder
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