Meerestochter
einen Schrei aus. Dann pfefferte er die Schaufel auf den Boden. «Grundgütiger, beinahe hätte ich Sie erschlagen.»
«In der Tat», murmelte Knightley, der seine Pistole wegsteckte und sich verstohlen den Schweiß von der Stirn wischte.
«Das ist aber auch …» Der Ladenbesitzer stieß eine Reihe saftiger Flüche aus. Erneut in Hektik geratend, schaute er sich in seinem Geschäft um. «Da soll einer nicht durchdrehen.»
«Wovon reden Sie denn, guter Mann?», fragte Knightley, der fassungslos zusah, wie der Mensch, der eben noch bereit gewesen war, einen Plünderer zu töten, sich daranmachte, seine eigene Kasse zu fleddern. Mit den ganzen Händen zerrte er die Scheine heraus und stopfte sie sich in die Taschen, angelte nach den Münzen, verlor die Geduld, zerrte die ganze Lade heraus und kippte den Inhalt auf den Tisch, wo er ihn mit ausholenden Bewegungen zusammenraffte. Er schaute sich nach einem Behälter um. «Wir müssen hier weg», erklärte er.
«Wohin bitte?», fragte Knightley konsterniert.
Morgan hob den Kopf. So viel Naivität besiegte ihn. «Na, weg», wiederholte er und wedelte mit einer Hand in Richtung Schaufenster. «So weit weg wie irgend möglich.»
Endlich, zum ersten Mal, gönnte Knightley der Welt da draußen einen Blick. Und was er sah, ließ ihn gewaltig schlucken. Es war Nacht über Broxton. Die Laternen am Kai waren automatisch angegangen und beleuchteten eine Gruppe Menschen, die wild durcheinanderliefen, hin und her gerissen zwischen Neugierde, Nichtverstehen und Furcht vor dem, was sich hinter ihnen, weit draußen auf dem Meer, aufgebaut hatte.
«Da ist das Wasser also.» Mehr fiel Knightley im Moment nicht ein.
«Ja, da ist es.» Morgan schnaubte durch die Nase. Er war so nervös, dass er sogar kicherte. «Aber da wird es nicht bleiben.»
«Wir müssen hoch auf die Küstenebene.»
«Meine Rede.» Der Ladenbesitzer war fertig mit dem Kleingeld. Noch immer war er unschlüssig, was er noch alles mitnehmen sollte. Die Lachscreme hatte ihn eine Stange Geld gekostet, aber wie sollte er jetzt hundert Dosen transportieren? Oder doch die Sonnenbrillen? So etwas konnte man immer brauchen. Die Steuerunterlagen, fiel es ihm ein. Ach was, pfeif auf die Steuern, sagte er sich im nächsten Moment. Aber die Armbanduhren, dass er daran nicht früher gedacht hatte! Er lief zu dem Drehständer an der Tür und begann, die einzelnen Uhren aus ihren Plastikhalterungen zu ziehen.
«Mann, dafür ist keine Zeit.» Knightley war endlich zu einem Entschluss gekommen. Er packte Morgan am Ärmel und zog ihn zur Tür. «Seien Sie kein Idiot.»
Der wehrte sich einen Moment, dann gab er sich einen Ruck. «Scheiß drauf, waren eh nur Imitate aus China. Kommen Sie.» Nun schob er seinerseits Knightley zur Tür. «Ich hab einen Lieferwagen.»
«Mit meinem sind wir schneller.» Der Inspektor war in Laufschritt verfallen, als Morgan bereits wieder stehen blieb.
«Der verdammte Blödmann», murmelte er und drückte Knightley die Plastiktüte mit dem Geld in die Hand. «Ich hab ihm doch gesagt, er soll abhauen.»
Zum ersten Mal bemerkte Knightley die kleine Tür in der Seitenwand. Sie stand offen, und von oben hörte man laut streitende Stimmen. «Du hast das Zeug nicht weggeräumt? Wieso hast du es nicht entsorgt? Verdammt, ich hab dir gesagt, du sollst es beiseiteschaffen.»
Die Stimme kam Knightley bekannt vor. Nachdenklich betrachtete er die Plastiktüte.
Es gibt nichts Erotischeres als eine Wohnung voller Bücher,
stand darauf. Es war das Zitat eines Bestsellerautors, aber Knightley bezweifelte, dass der Mann Quentins Wohnung je gesehen hatte. Er machte sich auf, dem Ladenbesitzer zu folgen, der seinen Sohn holen ging. Auf der Treppe wurden die streitenden Stimmen lauter.
«Was regst du dich auf?» Das war Quentin. «Die letzte Dämmerung ist da. Der Avatar kommt, um uns in eine neue Zukunft zu führen.» Ein Rülpsen ertönte. «Tja, vielleicht killt er uns ja auch alle. Er war ja immer ein wenig unberechenbar.»
«Blöder Idiot!», hörte Knightley, dann ein Brüllen, dann einen Knall, den der Inspektor nur zu gut kannte. Er warf die Tüte von sich, dass die Münzen klirrend über die Stiege rollten. Mit gezückter Waffe nahm er die letzten Stufen. Oben fand er Quentin, der auf dem Teppich lag. Sein Blut floss über Pizzakartons und vertrocknete Peperoni-Reste. Er hielt sich mit beiden Händen den Bauch, wo der Schuss ihn getroffen hatte, und schaute mit verständnislosen Augen an die Decke, als
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