Meerestochter
meiste Zeit des Jahres leer stehen würde, und er hatte seiner Tante vorgeschlagen, die Räume während der restlichen Monate an einen Künstler oder eine Kunstakademie zu vermieten. Aber Rose hatte das strikt abgelehnt.
«Ich will hier keine Fremden mehr haben», hatte sie gesagt. Und dabei war sie geblieben.
Adrian hatte ein wenig Angst um sie. Wenn die ganze Hektik des Umbaus erst vorbei wäre, dann würde es hier oben sehr einsam werden.
Rose zog ihre Handschuhe aus. «Patrick war da. Sein Bruder ist Klempner, und er hat mir einen Kostenvoranschlag für den Abbau der drei Bäder gemacht. All die Installationen und Rohre.»
«Vergiss Patrick.» Adrian machte eine wegwerfende Handbewegung. «Das kann ich dir doch machen.» Von den Broxtoner Geschäftsleuten hatte er für heute genug. Er dachte daran, wie sie ihm hinterhergeglotzt hatten. Und wie so oft in seiner Jugend packte ihn ein leichter Schauer bei dem Gedanken, vielleicht niemals von hier wegzukommen. Maud war da anders. Die packte ihre Pläne an, kam nach ihrer Ausbildung zurück und richtete sich hier ein. So wie diese Frau drauf war, würden ihr bald alle aus der Hand fressen. Sie war akzeptiert. Sie konnte ja manchmal eine ganz schöne Spießerin sein – wenn er ihr das sagte, lachte sie ihn aus –, aber über Maud würde niemals jemand lachen.
Adrian seufzte leise. «Gleich wenn ich die Möbel weggefahren habe, fange ich an.»
«Oh nein, mein Lieber, ich fürchte, das geht nicht.»
«Was?» Adrian fuhr aus seinen Gedanken auf. «Hast du ihm dein Geld etwa schon in den Rachen geworfen?»
Seine Tante schüttelte den Kopf. «Nein. Aber so wie es aussieht, hast du eine ganze Menge anderer Arbeit vor dir.» Sie lächelte. «Es kam ein Anruf für dich. Aus London. Das Wichtigste habe ich mitgeschrieben.»
Adrian war schon aufgesprungen und auf dem Weg in den Flur, wo das Telefon an die Wand montiert war.
«Ich habe ja nicht alles verstanden», rief seine Tante ihm nach. «Aber mir scheint, du musst im Winter nach Dubai.»
Dubai! Der Klang dieses Wortes verfolgte Adrian bis in den niedrigen dunklen Flur mit seinen Holzbalken, an denen er sich jedes Mal, wenn er nicht aufpasste, am Treppenaufgang die Stirn anstieß. Und heute war kein Tag zum Aufpassen. Den Zettel in der Hand, stürmte er hinauf in sein Zimmer. Im Licht des kleinen Buntglasfensters, das den Treppenabsatz erhellte, las er, was seine Tante mit ihrer altmodischen Handschrift für ihn notiert hatte. Dubai! Da stand es schwarz auf weiß.
«Ja!», rief Adrian, stieß sich noch einmal den Schädel und ballte die Faust. «Ja, verdammt. Ja! Ja! Ja!»
Oben angekommen, öffnete er die kleinen Flügel seines Butzenscheibenfensters und ließ das Tageslicht in sein Zimmer fließen. Es war klein, wie alles hier, vollgestopft mit Erinnerungen, die nicht die seinen waren, mit Möbeln von Urahnen, Nippes von Reisen anderer Menschen und einem Bett, in dem Fremde aus aller Welt geschlafen hatten.
Jetzt aber würde er die Welt erobern. Er würde etwas unumstößlich Eigenes schaffen. Er würde eigene Trophäen, eigene Erinnerungen hierher tragen. Adrian breitete die Arme aus und holte tief Luft. «Jaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaa!», schrie er. Dann machte er sich ans Räumen. Er würde Platz brauchen. Platz an den Wänden für seine Entwürfe. Platz auf den Tischen für die Bauzeichnungen und Modelle. Andere arbeiteten ja nur am Computer, er aber war erst glücklich, wenn er basteln konnte. Platz brauchte er auch in den Regalen. Platz, Platz.
Hier würde er den Computer aufstellen, da den Laptop. Am besten, er hatte zwei Bildschirme. Den schnelleren Rechner würde er für die Statikberechnungen brauchen. Dort an die Wand kämen die Fotos. Er ging zu seiner Reisetasche und holte die große Papprolle, die er daraufgeschnallt hatte. Bis heute hatte er nicht gewagt, sie zu öffnen. Es wäre ein Vorgriff gewesen, wie ein böses Omen. Aber jetzt wurde es Zeit. Er schüttelte sie und zog die zusammengerollten Bilder heraus, großformatige Aufnahmen von Dubai, der Küste, dem Meer dort unten, das so anders aussah als die See vor Broxton. Bilder von Bauwerken, die es in den Emiraten schon gab: Paläste, Wolkenkratzer, Hotels, Moscheen, Märkte. Das waren die Dinge, mit denen er sich würde messen müssen. Das war die Vergangenheit, an die er anknüpfen würde, um sie weiterzuführen und zu verwandeln. Und hier, dieses unberührte Stück blaue See vor der Küste … Adrian, Reißzwecken im Mund, pinnte die
Weitere Kostenlose Bücher