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Meerestochter

Meerestochter

Titel: Meerestochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serena David
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weiß, ich verlange viel von dir, ich weiß, deine Seele sehnt sich danach, zu verstehen und zu entscheiden. Aber niemand wird dir raten, niemand wird helfen und keiner verstehen können als ich. Wir haben nur einander. Aber uns haben wir ganz, denn unsere Seelen sind verwandt und gehören einander. Also schweig, meine Perle, auch deinen Eltern gegenüber und zu deinen Freundinnen. Denk an mich. Ich denke an dich jeden Augenblick, du bist in allem, du durchwebst jede meiner Empfindungen. Ich lebe nur in dir.
    Adrian ließ den Brief sinken. «Ich lebe nur in dir», wiederholte er. Das konnte nur sein Onkel geschrieben haben, Jonas. Jonas war damals mit seinen Eltern gestorben, und auch an ihn konnte er sich kaum erinnern. Da war nur das Grab, und nun dies hier. Adrian betrachtete den Brief. Er würde sich daran gewöhnen müssen, seinen verstorbenen Onkel als einen leidenschaftlichen Menschen zu sehen. Kein einfacher Fischer, der bei jedem Wetter seine Netze auslegte und nicht über seine Gefühle nachdachte.
    Adrian war traurig und ein wenig neidisch. Auch wenn die Worte in dem Brief nicht ganz glücklich klangen und alles nicht so einfach schien: Wenigstens hatten die beiden etwas Großes miteinander erlebt. Ihre Seelen waren verwandt, hatte Jonas geschrieben! Tja, dachte er, wenn ich das Maud zeigen würde, dann hätte ich wirklich einen Lacher.
    «Ich lebe nur in dir. Tsss.» Er legte den Brief in das Buch zurück, klappte es zu und stellte es zurück in den Bücherschrank, den er sorgsam wieder verschloss. Er ging zurück zu seinem Schreibtisch. «Ich würde ja nur für dich leben», sagte er zu der kläglichen Skizze eines Hochhauses, die er näher heranzoomte. «Aber du verweigerst mir ja die entscheidenden Ideen.» Er starrte sein unbefriedigendes Werk an. «Ist doch alles scheiße.» Entschlossen fuhr er den PC herunter. «Ich brauche Bewegung.»

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10. Kapitel
    «Sind Sie Adrian Ames?» Der Mann, der sich Adrian in den Weg stellte, hielt einen Ausweis hoch.
    «Ja, warum?» Adrian blieb stehen, joggte aber auf der Stelle weiter, um kein Seitenstechen zu bekommen. «Inspektor Knightley», las er von dem Ausweis ab.
    Der Mann nickte. «Ihre Freunde in der Stadt haben uns gesagt, dass wir Sie hier in der Gegend finden würden. Ist das das Bootshaus Ihrer Tante?» Er wies mit dem Kinn auf ein verfallendes weißes Holzhaus, das unter ihnen in einem Küsteneinschnitt stand, der sich zu einer kleinen, fast rund geformten Talsohle weitete, grün und flach. Das Geisterhaus stand in der Mitte. Sein Dach war eingesunken und grün von Moos. Und dem Steg, der ins Meer hinausführte, fehlten mehr Planken, als er noch besaß; er war löcherig wie ein altes Gebiss. Das Ganze wirkte wie der ideale Spielplatz für abenteuerlustige Jungen.
    «Nicht dass ich wüsste», erwiderte Adrian. «Seltsam, dass Sie das fragen.» Jetzt wurde er schon zum zweiten Mal auf eine angebliche Immobilie seiner Tante angesprochen. «Sieht eher unbenutzt aus, finden Sie nicht?»
    Inspektor Knightley wartete. Als Adrian seinen Ausführungen nichts hinzufügte, setzte er neu an.
    «Ich möchte Ihnen ein paar Fragen stellen.»
    «Ach ja?» Adrian ging dazu über, Dehnungsübungen zu machen. «Worum geht’s?»
    «Man sagte mir, dass Sie gestern Nachmittag schon da waren. Damit wären Sie der einzige männliche Einwohner von Broxton, den wir noch nicht verhört haben.»
    «Patrick.» Adrian richtete sich auf. «Sie haben mit Patrick gesprochen, stimmt’s? Hat er Ihnen auch gesagt, dass er das mit meiner Ankunftszeit von mir selber weiß?»
    Statt einer Antwort hob Inspektor Knightley nur die Brauen, die schwarz waren und dicht, ein auffallender Kontrast zu seinem schütteren grauen Haar.
    «Hat er also nicht. Es ist aber so, ich habe es ihm gesagt, als er mir von dem verschwundenen Mädchen erzählte.»
    Knightley hob die Hände. Pianistenhände, fiel es Adrian auf, erstaunlich schlank für einen Mann seiner Statur. Sie waren so farblos wie sein Haar. «Wir klagen niemanden an», sagte er. «Wir stellen nur unsere Fragen. Wenn ich bitten darf.»
    Langsam kam Adrian wieder zu Atem. «Ich bin schon am frühen Nachmittag da gewesen», gestand er. «Ich habe bei einer Freundin vorbeigeschaut. Maud St. Aubry. Sie wird es Ihnen bestätigen können. Vielleicht weiß sie sogar die genaue Uhrzeit. Ich erinnere mich leider nicht. Auf den Autobahnen um London war die Hölle los.»
    Knightleys Gesicht spiegelte kurz angemessenes Mitgefühl

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