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Meerestochter

Meerestochter

Titel: Meerestochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serena David
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sie zu Atem kommen sollte, ihr war, als hinge sie noch immer in der feindlichen Luft. Verzweifelt schlug sie mit ihrem Schwanz um sich, dennoch kam sie kaum von der Stelle. Blind vor Panik wand sie sich und tat unwillkürlich einen tiefen Atemzug, als ihr Kopf die Oberfläche durchstieß. Luft füllte ihre Lungen, köstliche Luft, Leben! Ondra schrie, vor Erleichterung und vor Schmerzen, denn ihr Körper tat weh, als würde er von etwas Schwerem plattgewalzt. Es war nicht wie bei der Verwandlung, es war, als hätte eine Riesenfaust sie gepackt und zerquetschte sie nun bei lebendigem Leib. Einen Moment lang dachte sie, ihr Vater hätte sie aufgespürt und das wäre nun der Kern des schwarzen Strudels und ihr Ende. Nein, nein, sie wollte nicht sterben!
    Sie schlug mit den Händen aufs Wasser wie ein paddelnder Hund. Immer wieder tauchte ihr Kopf unter, sie schluckte Wasser, hustete, schrie erneut. Das Seewasser brannte in ihrer Nase, ihren Augen, ihrem Hals. Ihr Brustkorb war zusammengekrampft. Von ihrer Flosse spürte sie nichts.
    Als sie den kalten Griff um ihre Schultern fühlte, war es zu spät, sich zu wehren.
    «Komm schon, Süße.» Aura hatte alle Mühe, die zappelnde, zitternde und völlig erschöpfte Freundin festzuhalten. Unter Aufbietung all ihrer Kräfte schaffte sie es, Ondra auf einen flachen Felsen zu rollen. Mit einem besorgten Blick ließ Aura sie dort zurück und tauchte noch einmal. Sie fand die Frau nach kurzem Suchen. Das Gewicht ihres Rucksackes hatte sie auf den Grund gezogen, wo sie im Takt der Wellen hin und her wogte. Aus ihrem Arm stieg ein dünner Faden Blut auf, der bereits die ersten Interessenten anzog.
    Aura stieß einen der kleinen Haie in die Seite, packte die Bewusstlose an den Haaren und zog sie hinter sich her. Aus ihrem Mund stiegen noch Luftblasen, sie lebte, das war Aura klar. Sehr viel mehr interessierte sie an der Fremden nicht. Sie war ein Problem, ein Ärgernis, das sie unter normalen Umständen irgendwo in den Wellen entsorgt hätte. Aber das war schon einmal schiefgegangen; sie wollte es nicht ein zweites Mal riskieren. Sollte Ondra sich doch mit ihr herumschlagen – dort draußen.
    Als sie die Fremde neben ihre Freundin schob, bekam sie Angst. Ondra lag noch immer so da, wie sie sie zurückgelassen hatte, die Haare wie eine Fessel um den Hals, die Arme schlaff ausgestreckt und die Beine – Aura musste den Blick abwenden. Diese komischen Dinger, diese Stelzen, die schön und gut waren für eine Vollmondnacht. Aber im Grunde waren sie nur eine groteske Laune der Natur. Und Ondras schöner Fischleib war verloren für immer. Tränen stiegen ihr in die Augen. «Ondra», flüsterte sie, «meine Schöne.» Sie legte die Hand auf Ondras Arm und zuckte zurück. Wie warm sie war! Es fühlte sich fremd an, geradezu krank. «Ondra», rief sie noch einmal leise.
    Ihre Freundin öffnete die Augen. Und was Aura in ihnen sah, machte ihr klar, dass Ondra für immer und alle Zeit eine andere geworden war. Es waren keine Nixenaugen mehr, silbrig und fähig, im Dunkeln zu sehen. Es waren beinahe Menschenaugen, die Pupille hilflos vergrößert, um die Nacht zu begreifen. So viel Wissen war aus ihnen entschwunden, Jahrhunderte an Erinnerung. Und der Ruf von Auras Seele fand in ihnen keinen Widerhall mehr. Nur die Traurigkeit in Ondras Blick war dieselbe geblieben.
    «Ondra, meine Ondra!» Die Nixe strich ihrer Gefährtin über die Wange. «Ich muss jetzt gehen. Leb wohl.» Aura suchte nach Worten, die ausdrückten, was sie fühlte. ‹Mach’s gut›, ‹Pass auf dich auf›, ‹Ein gutes Leben›. Keines davon genügte. «Ich hab dich lieb, meine Süße.» Sie weinte. Aber Meerjungfrauen weinen immer vergebens.

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18. Kapitel
    Adrian lauschte in den Telefonhörer und nickte wie ein Idiot. «Ja, Herr Professor», sagte er ab und zu, wie ein Automat. «Natürlich, Herr Professor.» Und er bestätigte, dass alles bestens liefe, wie am Schnürchen, ganz großartig, er sei schon mittendrin.
    «Na, dann hoffe ich, mein Lieber, dass das Meer Sie weiterhin inspirieren wird.» Die Stimme aus dem Telefon troff vor Wohlwollen.
    Adrian kam sich vor wie ein Hochstapler. Als hätte er noch nie einen Entwurf gezeichnet und würde auch in seinem Leben nie mehr einen zustande bringen. «Gerne, Herr Professor», antwortete er und war sich nicht schlüssig, ob das die richtige Antwort war. Egal, es war die einzige, die ihm einfiel. Als es endlich vorbei war, sank er in der Küche mit

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