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Meerestochter

Meerestochter

Titel: Meerestochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serena David
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murmelte: «Ich erkenne dich nicht wieder.»
    Ondra wurde ernst. «Ich erkenne mich selbst nicht wieder», gestand sie. «Ich war immer schon anders, aber jetzt weiß ich gar nicht mehr, wohin ich gehöre. Von dem Mann, den ich liebe, trennt mich eine Welt. Und die Welt, in der ich geboren bin, kommt mir fremder vor als alles andere. Als Papa mich heute in seinem schwarzen Griff hatte, da dachte ich einen Augenblick lang: Gut so, dann ist es endlich vorbei.»
    «Ondra!»
    Ondra biss sich auf die Lippe. Der Schmerz und die Zuneigung in Auras Gesicht waren das Letzte, was sie jetzt sehen wollte. Sie hatte ihren Entschluss gefasst, innerlich war sie keine Meerjungfrau mehr, sie hatte hier keine Freunde. Bei dieser einfachen Wahrheit wollte sie es belassen.
    «Ondra, es wird alles wieder gut werden, glaub mir.» Aura streckte die Hand nach der Freundin aus.
    Das war der Moment, den die schwarzhaarige Nixe nutzte. Sie schlang ihrer Gefährtin die Schlinge um die Hand und vertraute sich der nächsten Woge an. Sie hatte gut aufgepasst und eine ausgewählt, die höher war als die vorigen. Die Welle riss die beiden Meermädchen mit und trug sie weit die Felswand hinauf. Mit einem kräftigen Schnalzen ihres Schwanzes katapultierte Ondra sie beide noch ein wenig höher, als die Welle sie hob, und streifte dabei das Tangband, das sie und Aura aneinanderfesselte, über den höchsten Felsvorsprung, den sie erreichen konnte. Es war eine Steinnase dicht unter dem Rand, um den ein kahler Baum seine Wurzeln geschlungen hatte. Wie ein Wahrzeichen ragte er über ihnen auf. Als die Woge sich zurückzog, hingen sie beide mitten in der Luft.
    «Ondra!», schrie Aura. In Panik schlug sie um sich. Ihr Fischschwanz klatschte laut gegen den Felsen.
    Wie ein Fisch an der Angel, dachte Ondra böse. Sie ließ sich hängen und zog Aura mit ihrem eigenen Körpergewicht noch ein wenig höher. «Das Rezept, Aura», sagte sie nur.
    «Gibt. Es. Nicht.» Die rothaarige Meerjungfrau keuchte. Ihre Schuppenhaut irisierte unruhig und begann, in einem krankhaften Farbton zu leuchten.
    «Dir geht die Luft aus, Aura.» Triumph lag in Ondras Stimme.
    Aura schaute sie zwischen den Strähnen ihres wirren Haares hindurch an. «Dir … auch», stieß sie mit Mühe hervor.
    «Vielleicht», gab Ondra zu. «Aber mir ist das egal. Außerdem habe ich geübt.»
    Aura starrte sie an. Ihr Mund öffnete sich unwillkürlich, die Kiemen vor ihren Ohren arbeiteten wild. Sie spürte einen Schmerz, den Schmerz der Verwandlung, aber sie wusste, er würde nirgendwo hinführen, es würde sie zerreißen, und während ihr das Blut aus Nase, Mund, Kiemen und Ohren floss, würde sie verrecken und zu einem tauben Häutchen werden, das hier im Wind wehte. Ondra hatte recht, sie wollte nicht sterben.
    «Nein», stöhnte Aura.
    Aber sie wussten beide, dass es eine Kapitulation war.
    «Blut», ächzte sie.
    «Ja», bestätigte Ondra, «du wirst bluten. Ich hab das mal gesehen, weißt du? Es ist kein schöner Anblick, alles in allem. Und es dauert qualvoll lange.» Ihr Gesicht glühte wild entschlossen.
    «Nein, Menschenblut!» Aura hustete. Ihre Augen wurden trübe.
    «Was war das?» Ondra horchte auf.
    «Menschenblut. Du musst etwas davon trinken.»
    «Und das ist alles?» Ondra konnte es kaum glauben. «Aura, sag mir die Wahrheit.»
    «Ich …» Aura hob noch einmal den Kopf, dann sank er vornüber.
    Über ihnen wurde es laut. Ein Auto hielt mit quietschenden Bremsen, eine Tür klappte. «Du besoffene Kuh, kotz woanders», hörten sie eine Männerstimme rufen. Danach ein Knallen und das Aufheulen eines Motors. Die betrunkene Stimme einer Frau, die vor sich hin schimpfte. Sie schien näher zu kommen, ihr Gebrabbel wurde lauter und lauter. Steinchen lösten sich und prasselten den Nixen auf den Kopf.
    Noch einmal riss Aura sich zusammen. «Wenn sie uns sieht», flüsterte sie heiser, «… nicht …»
    «Mach’s gut», sagte Ondra, nahm eine Muschel, schnitt die Fessel durch und hielt sich selbst an dem Vorsprung fest, während sie zusah, wie Aura abstürzte und laut platschend auf dem Wasser aufschlug. Sie versank wie ein Stein, und für einen Moment dachte Ondra, dass sie den Zeitpunkt überschritten haben könnte, und sie machte sich Sorgen. «Aura?», rief sie laut. Das hatte sie nicht gewollt. «Aura, antworte mir!»
    «Was’n da los? Hallo?» Ein Kopf wurde über Ondra sichtbar.
    Sie fuhr zusammen. Die Frau! Ondra roch Alkohol und starken, unechten Blumenduft, dazu das saure

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