Meerhexe
bring’s nächstes Mal mit.« Damit beendet Torsten unsere Konversation und ist wieder der schüchterne Typ, der er immer war. Kaum dass sein Blick mich noch streift, als er »tschüs« murmelt.
Bis nächste Woche also. Kein Sieg auf der ganzen Linie, nur ein guter Start. Das ist immerhin mehr, als Britta bis jetzt verzeichnen kann. Denn auf ihre Fete kommt Franziska allein, ohne Bruder. Der habe keine Lust, tja, wie immer eben. Franziska hat es Britta grinsend berichtet. Britta will allerdings noch nicht aufgeben.
Ich läute bei Oma. Sie muss es mir unbedingt sagen, falls sie vorhaben sollte, Torstens Klavierstunde wieder mal zu verlegen. Denn sonst platzt meine Verabredung.
Während die Tournee meiner Mutter zu Ende geht und mein Vater immer verrückter wird (er läuft jetzt zweimal am Tag), bin ich von was Neuem besessen: vom Singen. Daran ist Ulrich schuld. Das kam so: Zu Beginn der letzten Musikstunde erzählte er uns, dass er ein Musical komponiert hat. Die Proben dafür sollen im Herbst starten, aber Ulrich will jetzt schon die Rollen verteilen. Dazu braucht er Leute aus verschiedenen Klassen, denn in einer einzigen Klasse gibt es ja nicht so viele gute Stimmen. Ein Vorsingen ist geplant. Wer dazu die Noten haben wolle, meinte Ulrich, der solle nach der Stunde noch kurz hierbleiben.
Er brachte das alles in seinem ruhigen, kühlen Ton vor. So als wäre sein Musical die langweiligste Sache der Welt. Er erwähnte noch nicht mal, um was es darin geht. Man konnte fast denken, er wäre überhaupt nicht daran interessiert, dass sich jemand aus unserer Klasse meldet.
Aber dann machte er was, das mein Herz einen Schlag aussetzen ließ. Er guckte die Sitzreihe der Mädchen entlang und blieb mit den Augen an mir hängen, für mindestens - schätze ich mal - vier Sekunden. Ich wollte schlucken und konnte nicht, mangels Spucke. Es ging erst, nachdem er aufgehört hatte, mich anzustarren.
Als Ulrich dann mit der Mädchenreihe durch war, hob er den Blick und sah flüchtig nach hinten zu den Jungen. Wirklich so kurz, dass es schon fast eine Beleidigung war. Keiner von denen braucht vorzusingen, das ist klar.
Danach fing Ulrich ganz normal mit dem Unterricht an, mit Harmonielehre. Er wiederholte die Dur- und Molltonarten. Die Mädchen stöhnten und waren im Moment überhaupt nicht in ihn verliebt. Die Jungen, die es ja noch nie gewesen waren, versanken in Tiefschlaf.
Ich war auch nicht recht bei der Sache, konnte nicht mal mehr eine große Terz von einer kleinen unterscheiden. Denn Ulrichs seltsamer langer Blick verfolgte mich. Was hatte der zu bedeuten? Nur dass ich mich unbedingt zum Vorsingen melden soll? Oder vielleicht gar, dass ich … Meine Einbildung schlug Saltos. Ich fing an zu träumen, dass Ulrich mich für die Hauptrolle in seinem Musical haben will. Singen kann ich schließlich, keine Frage.
Nach dem Unterricht blieben die meisten Mädchen da. Nur Heidi, Aysun und Rahime nicht. Britta flüsterte mir zu: »Ich warte draußen auf dich.« Dann ging auch sie.
Ulrich lächelte etwas verkrampft, als er sah, dass so viele geblieben waren. Er kramte in seiner Tasche. »Ich habe nur ein paar Abzüge«, sagte er und verteilte Blätterbündel mit Songs darauf. »Könnt ihr euch bitte immer zu zweit zusammentun? Es reicht nicht für alle.«
Eine Kopie behielt er bis zuletzt in der Hand. Die gab er mir. Mit einem Blick, der mir durch Mark und Bein ging. »So, Madeleine, hier«, sagte er.
Danach wandte er sich freundlich an alle. »Wenn euch die Handlung des Musicals interessiert, dann besorgt euch das Andersen-Märchen von der kleinen Seejungfrau. Lest das und ihr wisst Bescheid. Verwechselt es nicht mit Arielle, dem Disney-Film! Den Termin fürs Vorsingen sage ich euch noch.« Wir waren entlassen.
Was einen an Ulrich verrückt machen kann, ist seine unterkühlte Art. Wo er doch so hinreißend aussieht! Vielleicht will er nicht, dass man sich in ihn verliebt? Gerade mal in der Schubertstunde hat er etwas Gefühl gezeigt. Wahrscheinlich ist er ein Fan von Schubert.
Kaum waren wir draußen, da wurde schon lautstark gemeckert. Ein Märchen! Wer interessierte sich denn in unserem Alter noch für Märchen?
Britta, die auf mich gewartet hatte, sagte, sie sei froh, dass sie nicht singen könne. Heidi, Aysun und Rahime waren bei ihr geblieben und nickten bei jedem Wort. Ehrlich gesagt weiß ich nicht, wie die drei singen. Sie tun es so verschüchtert und verklemmt, dass man fast nichts hört. Für ein Musical sind
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