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Meerhexe

Meerhexe

Titel: Meerhexe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irma Krauss
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haben.

    Am Sonntag treffen wir uns bei Franziska. Ich habe keine Angst, dass ich ihren Bruder Torsten versehentlich beim nackten Herumtanzen überraschen könnte. Irgendwie weiß man, wer so was tut und wer nicht. Torsten ist der Typ nicht.
    Wir hören Musik in Franziskas Zimmer - Britta, Denise, Franziska und ich - und umwickeln uns gegenseitig Haarsträhnen mit bunten Wollfäden. Als wir damit fertig sind, gehen wir zusammen ins Bad und bauen uns vor dem Spiegelschrank auf. Es ist ziemlich witzig, wie wir da alle vier herausgrinsen, mit jeweils einer bunten Strähne an der Schläfe. Mein Kopf unterscheidet sich eigentlich nicht wesentlich von den anderen drei Köpfen.
    »Du, Franzi, ist dein Bruder da?«, fragt Britta endlich.
    Mir selbst hat die Frage schon lange auf der Zunge gelegen. Aber ich hab ja gewusst, dass Britta sie früher oder später stellt.
    Franziska winkt uns mitzukommen und wir gehen Torsten besichtigen. Er hört uns nicht, weil er mit dem Rücken zur Tür sitzt und weil sein Computer rauscht. Ich sehe von ihm weit weniger als von Lukas, nur den Hinterkopf und die Schultern vor dem Bildschirm. Torstens rechte Hand arbeitet unglaublich schnell auf den Tasten herum. Seine Haare sind länger geworden und kräuseln sich im Nacken noch stärker als beim letzten Mal. Und eine weitere Steigerung: Wenn Torsten mich bei Oma nur mit einem verhuschten Blick gestreift hat, so sieht er mich diesmal überhaupt nicht! Daraus schließe ich, dass er wahnsinnig in sein Computerspiel vertieft ist. Ich begreife außerdem, dass er lieber am Computer sitzt als am Klavier. Es hat also wenig Sinn, seinetwegen Omas vierhändige Stücke wieder einzuüben. Daran habe ich nämlich schon gedacht. Aber auch gut. Ich will sowieso nicht Klavier spielen.
    Eine ganze Weile stehen wir in der offenen Tür. Dann fangen wir auf ein Kommando von Denise hin gemeinsam zu hüsteln an. Torsten zuckt zusammen, dreht sich auf seinem Stuhl ein wenig um, erblickt vermutlich acht Mädchenfüße, denn er besichtigt nur den Fußboden, dann kehrt er in seine vorherige Haltung zurück und versucht hektisch, den Zeitverlust von zweieinhalb Sekunden wieder aufzuholen.
    Das ist alles. Franziska grinst und geht.
    »Tooorsten«, flötet Denise.
    Keine Reaktion.
    »Haaallo«, versucht es Britta.
    Torsten stellt sich taub. Und so, wie er den Gehörlosen spielt, spiele ich die Gleichgültige und unterdrücke jede Anwandlung, mich irgendwie bemerkbar zu machen. Aber ich denke mir meinen Teil.
    Als wir wieder bei Franziska im Zimmer sind, erzählt sie uns, was Torsten in den Sommerferien vorhat: Er will in ein Computercamp. Da weiß ich endgültig, dass ich auf die vierhändigen Klavierstücke verzichten kann. Ein Mädchen, mit dem Torsten reden wird, muss sich für Computer interessieren. Eine Erkenntnis, die ich aber schön für mich behalte.
    Britta schwärmt auf dem ganzen Heimweg davon, wie gut Torsten von hinten aussieht. Sie will eine Fete geben und ihn einladen, noch bevor er in sein Camp entschwindet.
    Ich wünsche ihr im Stillen viel Glück und klammere mich hoffnungsvoll an meine Beobachtungen. Ob Torsten überhaupt auf Feten geht? Eher nicht.

Von Computerspielen und vom Singen

    Es ist ernster, als ich dachte: Mein Vater macht Dauerläufe. Das hat er noch nie zuvor getan. Er steht morgens extra eine Stunde früher auf, um das wegzulaufen, was er sich am Abend zuvor angefressen hat (seine Worte!). Er muss verzweifelt sein und Oma taugt auch nur zum Beschwichtigen, sie kann ihm überhaupt nicht helfen. Sie hat die Tourneeunterlagen von der Agentur bekommen, einschließlich sämtlicher Telefonnummern. Aber mein Vater ist zu stolz, um sie zu verwenden. Er wartet anscheinend darauf, dass meine Mutter ihm freiwillig ihre Nummer gibt und ihn liebeskrank anfleht, sie anzurufen.
    Das hat sie bis jetzt nicht getan. Dabei sind wir schon in der zweiten Woche der Tournee (drei Wochen dauert sie). Ich war selbst dabei, am Sonntagabend, als meine Mutter sich endlich wieder mal meldete. Zuerst war mein Vater dran, dann wollte sie mir einen Gruß sagen. Wir tauschten also ein »Hallo, wie geht’s dir?« aus.
    Mein Vater grapschte bereits ungeduldig nach dem Hörer. Ich sagte Mama, dass ich ihr Papa wieder geben würde. Aber da hatte sie es plötzlich ganz eilig, weil das Konzert ja gleich beginnen würde. Sie bat mich nur noch, ihn zu grüßen. Und dann hat sie uns wieder keine Nummer hinterlassen.
    In der darauffolgenden Nacht aß mein Vater den Kühlschrank

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