Meerjungfrau
nur an Joachim Posener zu denken. Der war seit Jahren untergetaucht und schien nicht nennenswert darunter zu leiden, dass er ein Kind zurückgelassen hatte. Die Mädchen waren fast erwachsen und brauchten ihn sowieso nicht mehr.
»Was ist das eigentlich für eine Geschäftsreise?«, fragte Louise.
Der Unterton in ihrer Stimme machte ihn stutzig. Sie wusste doch nicht etwa Bescheid? Erik schob den Gedanken beiseite. Selbst wenn sie Verdacht geschöpft hatte, konnte sie nichts unternehmen.
»Ich habe ein Treffen mit einem neuen Lieferanten.« Er fingerte an seinem Schlüsselbund herum. Eigentlich war er ziemlich nett gewesen. Er wollte den kleineren Wagen nehmen und ihr den Mercedes dalassen. Und das Geld, das noch auf dem Konto war, würde ein Jahr lang ihre und die Kosten der Mädchen decken. Auch die Raten für das Haus würde sie davon bezahlen können. So hatte sie genügend Zeit, ihr Leben in Ordnung zu bringen.
Erik richtete sich auf. Er hatte wirklich keinen Grund, sich wie ein Schwein vorzukommen. Es war nicht sein Problem, wenn irgendjemand nicht damit zurechtkam, dass er Tabula rasa gemacht hatte. Sein Leben war in Gefahr, und er konnte nicht tatenlos abwarten, bis die Vergangenheit ihn einholte.
»Ãbermorgen bin ich wieder da.« Er nickte Louise zu. Umarmt oder geküsst hatte er sie zum Abschied schon lange nicht mehr.
»Mach, was du willst.« Sie zuckte die Achseln.
Wieder erschien ihm ihr Verhalten sonderbar. Aber das bildete er sich bestimmt bloà ein. Und übermorgen, wenn sie mit seiner Rückkehr rechnete, befand er sich bereits in Sicherheit.
»Tschüs.« Er wandte ihr den Rücken zu.
»Tschüs«, sagte Louise.
Als er im Auto saÃ, blickte er ein letztes Mal in den Rückspiegel. Dann schaltete er das Radio ein und summte leise mit. Er war auf dem Weg.
Als Patrik hereinkam, sah Erica ihn erschrocken an. Maja schlief schon eine ganze Weile, und sie selbst hatte es sich mit einer Tasse Tee auf dem Sofa gemütlich gemacht.
»Harter Tag?«, fragte sie vorsichtig und nahm ihn in den Arm.
Patrik schmiegte sein Gesicht an ihren Hals und stand einen Moment lang still da.
»Ich brauche ein Glas Wein.«
Er ging in die Küche, und sie setzte sich wieder aufs Sofa. Sie hörte Gläserklirren und das leise Knallen eines Weinkorkens. Sie hätte jetzt auch Lust auf ein Gläschen gehabt, musste sich aber mit ihrem Tee begnügen. Das war einer der groÃen Nachteile, wenn man schwanger war und das Kind anschlieÃend stillte. Man durfte sich nicht hin und wieder einen leckeren Rotwein gönnen. Manchmal nippte sie allerdings an Patriks Glas, das musste reichen.
»Wie schön, endlich zu Hause zu sein.« Seufzend lieà sich Patrik neben ihr nieder. Er drückte sie an sich und legte die FüÃe auf den Wohnzimmertisch.
»Schön, dass du wieder da bist.« Erica kuschelte sich an ihn. Einige Minuten saÃen sie schweigend so da. Patrik schlürfte seinen Wein.
»Christian hat eine Schwester.«
Erica zuckte zusammen. »Eine Schwester? Davon höre ich zum ersten Mal. Er hat doch gesagt, er habe keine Familie.«
»Das entsprach aber nicht ganz der Wahrheit. Ich werde mit Sicherheit bereuen, dass ich dir das alles erzähle, aber ich bin so wahnsinnig müde. Alles, was ich heute erfahren habe, geht mir durch den Kopf, und ich muss mit jemandem reden. Aber es bleibt unter uns. Okay?« Er blickte sie streng an.
»Versprochen. Fang an!«
Patrik berichtete ihr von allem, was er tagsüber in Erfahrung gebracht hatte. Sie saÃen im dunklen Wohnzimmer, das nur vom laufenden Fernseher beleuchtet wurde. Erica hörte ihrem Mann schweigend zu und hielt die Luft an, als Patrik erzählte, wie es zu Alices Hirnschaden gekommen war und Christian all die Jahre mit dem Geheimnis gelebt hatte, während Ragnar ihn nicht nur schützte, sondern auch im Auge behielt. Als Patrik alles über Alice, Christians gefühlskalte Kindheit und seine endgültige Trennung von der Familie erzählt hatte, schüttelte Erica den Kopf.
»Armer Christian.«
»Ich bin noch nicht fertig.«
»Wie meinst du das?« Erica keuchte, weil sie einen kräftigen Tritt in die Lunge bekommen hatte. Die Zwillinge waren heute Abend ziemlich munter.
»Während seiner Studienzeit in Göteborg lernte Christian eine Frau kennen. Maria. Sie hatte einen kleinen Sohn, gerade erst geboren.
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