Mehr als ein Sommer
Pyramiden, des Nils. Sie schob sich eine Pille unter die Zunge und spülte sie mit einem Schluck Wasser hinunter.
Draußen vor der Tür wippte Trevor auf den Zehenspitzen auf und nieder, die Arme über der Brust gekreuzt, die Hände unter die Achseln geklemmt. Zehn Minuten vergingen. Wie lange brauchte eine Frau, um sich umzuziehen? Er lief den Korridor hinunter und suchte nach einem Bad, blieb vor einer Tür stehen, auf der WC stand. Das Schild war überflüssig, der Geruch unverkennbar. Die Tür schwang auf, und vor ihm tat sich ein stinkender, feuchter Betonraum auf, und wenn er nicht diesen schmerzhaften Druck auf seiner mit Scotch gefüllten Blase verspürt hätte, wäre er sofort wieder davongelaufen. Stattdessen atmete er tief durch und schritt über den feuchten Boden. Eine altertümliche Toilettenschüssel thronte in einer Ecke des Raums, eine Porzellanschüssel mit Rostflecken. Eine zerrissene Kette baumelte vom Wassertank, der an die Wand montiert war und unheilvoll fauchte. Ein verrosteter Duschkopf hing gefährlich wackelig in einer anderen Ecke, der Abfluss am Boden war mit Haaren und anderem Unrat verstopft. Kein Duschvorhang, kein Toilettenpapier. Er drückte sich an dem zerbrochenen, vergilbten Standwaschbecken vorbei zur Toilette und erblickte dabei in einem geriffelten Spiegel sein verzerrtes Konterfei. Er blieb stehen und beugte sich vor, um sich genauer in Augenschein zu nehmen. Mit der Hand rieb er sich über die stacheligen Stoppeln an seinem Kinn. Es kam nie vor, dass er sich nicht rasierte. Manchmal rasierte er sich sogar zweimal am Tag. Heute würde er bis zum nächsten Morgen und bis zum Spiegel in seiner Tasche warten müssen. Er pinkelte in die Toilettenschüssel, dann umwickelte er seine Hand mit dem Zipfel seines Hemdes und zog an der Kette. Ein Rinnsal von Wasser tröpfelte in die Schüssel. Als er am Spülbecken das Wasser aufdrehte, entwich keuchend die Luft aus dem altertümlichen Kran. Finsteren Blickes schaute er auf die Dusche. Bestimmt kalt. Bis jetzt war diese Reise ein einziges Desaster.
Als er ins Zimmer zurückkehrte, saß Constance in ihrer Nachtwäsche auf dem Bett, eine Kulturtasche mit Paisleymuster auf dem Schoß. »Hier gibt es kein Badezimmer«, sagte sie.
Trevor faltete sich auf der schmalen Matratze zusammen. »Ist den Gang runter«, war das Einzige, was er noch sagte. Er war eingeschlafen, bevor sie das Zimmer verließ.
Trevor stand allein in einem endlosen Weizenfeld, mit weit ausgestreckten Armen. Die Halme reichten ihm bis zur Taille, und die zarten Ähren, von den Körnern schwer geworden, streiften seine offenen Handflächen. Über ihm ein wolkenloser, türkisblauer Himmel. Schwalben flogen vorüber, und neben seinen Füßen am Boden zirpten die Grillen. Die Hitze einer unsichtbaren Sonne legte sich wie eine Decke nieder auf seinen Kopf und seine Schultern.
Am Horizont brachen in die makellose Landschaft plötzlich die dunklen Schatten fallenden Korns. Schwaden von Weizen fielen in seine Richtung wie Wellen auf einen Strand. Ein Traktor stob über den Kamm des Hügels. Ein amerikanischer Steiger Panther mit Allradantrieb. Einer der schwersten Traktoren, die es gab. Seine gewaltigen Reifen drehten sich durch das Feld, stießen die zerbrechlichen Halme um, rissen Wurzeln heraus. Die breite Krempe eines Cowboyhuts gab den Blick auf das Gesicht des Fahrers nicht frei. Die riesige Maschine fuhr um Trevor herum und ließ ihn gestrandet zurück auf einer Insel aus Gold. Er umfasste mit den Händen die heißen Ähren, die zwischen seinen Fingern zerbröselten, während er bis zu den Armbeugen in glühend heißem Sand versank. Ohne Vorwarnung wurde aus dem Traktor ein rotes Cabriolet, das sich in der Wüste um die eigene Achse drehte. Die Stoßstangen aus Chrom blitzten in der Sonne. Der Hut des Fahrers flog in das Feld, und Trevor erkannte das Gesicht des Mannes: sein Vater. May saß neben ihm, mit einem strahlenden Lächeln, mit funkelnden Augen. Das Paar winkte, während es im Kreis fuhr. Er rief nach den beiden, aber sie preschten lachend davon. Der Wagen schlingerte durch die Wüste, die Reifen wirbelten massenhaft Sand auf und ließen ihn durch die Luft fliegen. Musik drang aus ihrem Radio an Trevors Ohren, aus der Ferne, unmerklich erst, wurde lauter und lauter, bis sie ihn umhüllte, fordernd und fremd.
Constance glitt aus ihrem Bett und tappte barfuß durch den Raum zu dem hohen, schmalen Fenster. Leise trug sie den Stuhl, der in der Ecke an der Wand
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