Mehr als ein Sommer
einem Hauch von Rouge auf jeder Wange und sorgsam aufgetragenem, rosafarbenem Lippenstift. Milchig weiße Perlenohrringe hingen von ihren Ohrläppchen herab. In der einen Hand hielt sie eine weiße Ledertasche, in der anderen die Segeltuchtasche mit den Ehegatten. Sie stellte sie vor Trevor auf den Tisch. »Würden Sie wohl bitte auf die Jungs aufpassen? Wir wollen ja nicht, dass sie noch mal jemandem im Weg stehen.«
Dann drehte sie sich schwungvoll um und marschierte durch den Speisesaal in die Eingangshalle. Trevor schnappte sich die Tasche, sprang auf — die Jungs wogen mehr, als er gedacht hatte — und folgte ihr. Constance stiefelte schnellen Schrittes in die Transithalle und auf eine unscheinbare, von einem jungen Soldaten bewachte Tür zu, der von seinem Stuhl aufsprang, als sie sich näherte. Sie hob ihr Kinn und sprach zu dem Mann, der sich weder rührte noch etwas sagte oder in irgendeiner Form reagierte, seine Augen waren geradeaus fixiert auf ein unsichtbares Objekt in der Ferne. Trevor blieb zwanzig Schritte entfernt stehen und beäugte die glänzende Waffe des Mannes, das einzige saubere Teil, das er seit seiner Ankunft in Kairo gesehen hatte. Constance hängte sich ihre Tasche über den Arm, schob ihre Hand in die Armbeuge des Wachmanns und klopfte an die Tür. Als sie aufflog, wechselte die alte Frau ein paar Worte mit jemandem im angrenzenden Raum. Der Wachposten trat zur Seite, und sie entschwand durch den Türrahmen. Die Tür schloss sich hinter ihr mit einem klickenden Laut.
Als Constance verschwand, schnürten Gefühlsregungen mit langen Krallen Trevor die Kehle zu. Was ihn zutiefst verstörte, denn er rühmte sich seiner Fähigkeit, Gefühle in Schach halten zu können, sämtliche Gefühle, die angenehmen wie die unangenehmen. Zügellose Gefühle waren gefährlich und maßgeblich verantwortlich für die Leiden in der Welt. Aber bei dieser Gefühlsregung, die nicht zügellos, wohl aber undefinierbar war, wusste Trevor nicht mehr weiter. Constance war außer Sichtweite und damit nicht mehr kontrollierbar, und sie hatte ihn zurückgelassen mit drei toten Männern in einer mit Sonnenblumen bedruckten Reisetasche. Was, wenn sie nicht zurückkam?
Er blickte nieder auf die Tasche an seiner Hand — was angeblich Leichenrückstände waren, sah aus wie Staub und konnte ebenso gut Mehl sein — und ließ sie auf den Boden gleiten. Er musste nicht warten, sagte er sich. Schließlich war sie ja nur eine Fremde, eine spinnerte Frau mit einer spinnerten Geschichte. Morgen würde er sie vergessen haben. Trevor drehte sich um und lief rasch durch die Hotelhalle und die Treppe hinauf, wobei er von einer Stufe auf die nächste sprang, so erleichtert fühlte er sich, diese Entscheidung getroffen zu haben. Auf der vierten Stufe wurde er langsamer, und auf der sechsten blieb er stehen. Er wandte sich um, bis er die Tasche sehen konnte, die zusammengeknautscht an der Wand lehnte, auf der anderen Seite des Raums, wo er sie zurückgelassen hatte, verloren wie ein ausgesetztes Kind. »Verdammt«, murmelte er, trat mit dem Fuß gegen die siebte Treppenstufe und lief dann zurück in die Transithalle.
Trevor lehnte sich gegen die Wand — mit Martin, Thomas und Donald zu seinen Füßen — und wartete, mit vor der Brust verschränkten Armen, biss sich auf die Unterlippe, während er die Situation einschätzte. Constance war vor zehn Minuten hinter einer unscheinbaren Tür verschwunden. Der Wachmann erschien nicht minder grimmig und starr, seine Waffe war keine Fata Morgana. Warum war sie nicht wieder herausgekommen? Eine Stelle in der Mitte seiner Brust antwortete auf die Frage mit einem stechenden Schmerz. Er rieb mit dem Zeigefinger an einem Fettfleck auf seinem Hemd, das ganz zerknittert war, weil er es in der Nacht anbehalten hatte.
Es war nicht zu leugnen. Er spürte diesen stechenden Schmerz jedes Mal, wenn er einen neuen Verkaufsjob annahm. Verantwortung. Aber nie, niemals in seinem Leben, hatte sich diese Gemütsregung, dieses Gefühl — er zuckte zusammen bei dem Gedanken an dieses Wort — auf ein anderes menschliches Wesen bezogen. Er sollte ihr eigentlich nachgehen, das wusste er. Doch sah der Soldat an der Tür, ein Junge von achtzehn oder zwanzig Jahren, wie ein Idiot aus, der nicht zögern würde, seine Waffe zu benutzen, wenn er provoziert wurde, weil es ihm Vergnügen bereitete, an einem Ausländer das Schießen zu üben. Trevor blickte in Richtung des Schreibtischs, wo sich die aufgehaltenen
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