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Mehr als ein Sommer

Mehr als ein Sommer

Titel: Mehr als ein Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Eriksson
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er.
    Constance vergrub ihr Gesicht in Trevors Armbeuge und fing an zu weinen. Der Beamte seufzte und ließ ab von ihr. »Ihre Mutter?«, fragte er Trevor.
    Trevor hielt inne, und das Gesicht der Frau aus seinem Traum glomm in seiner Erinnerung auf wie eine sich windende Feuerflamme. Als Constance ihm auf der Innenseite seines Arms in die Haut kniff, zuckte er zusammen. »Ja«, sagte er. »Sie ist meine Mutter.«

    Ein barfüßiger Hotelpage, nicht älter als zwölf, in verdreckten Hosen und einem T-Shirt der New York Isländers, quälte sich mit Constance’ großem Koffer drei Etagen über die Treppe. Nackte Glühbirnen erhellten die langen, kahlen Korridore.
    »Drei-Sterne-Hotel?«, schnaubte Trevor. Seine Reisebegleiterin schien sich erholt zu haben und schwatzte auf den Hotelpagen ein. Sie sprach über das Wetter und fragte nach seiner Familie, obwohl es so schien, als spreche der Junge nur wenige Worte Englisch. Bis sie ihr Zimmer erreicht hatten, waren sie und der Junge bereits ausreichend miteinander bekannt, sodass sie ihn umarmte und es anschließend Trevor überließ, ihm von den paar kanadischen Münzen, die er in der Tasche hatte, Trinkgeld zu geben. Der Junge machte einen Diener, murmelte etwas auf Arabisch und machte sich dann davon. Bevor er davonhuschte, wies er den Korridor hinunter. Trevor zerrte
    Constance’ Koffer über die Türschwelle in den Raum, in dem ein Einzel- und ein Doppelbett standen.
    »Vielen Dank, mein lieber Junge, stellen Sie den Koffer darauf.« Constance zeigte auf das größere der beiden Betten. Zu abgekämpft um zu streiten hievte Trevor den Koffer auf die Matratze. Die metallenen Sprungfedern quietschten aus lauter Protest.
    »Hübsches Zimmer«, meinte Trevor voller Sarkasmus, während er den schmutzigen Putz an den Wänden auf sich einwirken ließ, den einsamen Stuhl, der genauso aussah wie die im Speisesaal, und die kitschigen Postkartenmotive ägyptischer Touristenfallen, die gerahmt an den Wänden hingen. Der rotschwarze Fliesenboden musste dringend gefegt werden, allerdings sah er keine Anzeichen für Insekten, und die Bettlaken schienen sauber zu sein. Ein hohes vergittertes Fenster ohne Glas umrahmte die dunkle Nacht.
    Er zog seine Schuhe und die Socken aus und warf sich auf die kaum beanspruchte Matratze. Constance öffnete ihren Koffer und zog Sachen heraus, dann drehte sie sich mit einem seidenen Nachthemd und einem Bademantel in der Hand zu ihm und räusperte sich. Als Trevor nicht darauf reagierte, räusperte sie sich abermals.
    »Was?«, fragte Trevor mit gedehnter Stimme, schon halb eingeschlafen.
    »Würden Sie wohl bitte auf dem Gang warten«, meinte sie. Eine Frage war es nicht.
    »Oh... klar.« Trevor seufzte, rollte sich vom Bett und stolperte aus der Tür.

    Constance schloss die Augen und versuchte, ausreichend Energie aus den Tiefen ihres Innersten zu schöpfen, um sich auszuziehen und es ins Bett zu schaffen. Iris behauptete steif und fest, dass fünf Minuten tiefen Durchatmens — eine Technik, die sie angeblich beim Yoga gelernt hatte — jeden revitalisieren würden. Doch vermutete Constance, dass Iris bei ihrer langjährigen Ehe und ihrer guten Gesundheit niemals einen Grad von Erschöpfung erlebt hatte, der diesem hier nahekam. Sie versuchte es dennoch mit ein paar langen und langsamen Atemzügen, und sie musste zugeben, dass sie ihr ein wenig Auftrieb gaben. Langsam kleidete sie sich aus, legte ihre Sachen zusammen und in den Koffer, hüllte sich dann in ihr Nachthemd und den Bademantel, ein Geschenk von Martin zum letzten Weihnachtsfest, das sie miteinander erlebt hatten. Wenn sie gewusst hätte, wie wenig Zeit ihnen nur noch bleiben würde, hätte sie Susan und den Jungen gesagt, dass sie über die Feiertage nicht kommen sollten, damit sie und Martin die kurze Zeit für sich allein gehabt hätten in ihrem kleinen Cottage, vor einem gemütlichen Feuer, mit guten Büchern und etwas Wein. Es hatte am Heiligabend sogar geschneit. Constance durchforstete ihren Koffer nach ihrer Kulturtasche und holte einen Beutel hervor, der voller Medikamentenschachteln war. Sie wünschte, sie bräuchte sie nicht, könnte sie in der Toilette hinunterspülen, aber dieser Wunsch zog lediglich hundert weitere Wünsche nach sich. Dass Martin noch am Leben wäre, dass die Menschen nicht alt und nicht sterben würden, dass sie die Zeit zurückdrehen, Gott spielen könnte. Dann erinnerte Constance sich daran, wo sie war. Nordafrika. In der Heimat der Pharaonen, der

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