Mehr als ein Sommer
weg von ihm, und ihr Lachen klang auf einmal wie atemloses, schmerzerfülltes Keuchen. Trevor richtete sich auf; eine blassgelbe Knolle, die vom Lehm verschmiert war, hing in seiner Hand. »Angela?«
Ihr Gesicht war von Schmerz und Wut verzerrt. Instinktiv wäre er am liebsten weggerannt. Was in seinem Leben hatte ihn darauf vorbereitet, jemals die Rolle eines Trösters zu spielen? Er dachte an Constance, an ihre schicksalhafte Begegnung auf dem Frankfurter Flughafen, an die Tasche mit den Sonnenblumen, an die Plastikdosen, die ihre drei schmerzlichen Geschichten enthielten, und trotzdem hatte sie ihm ihre Hand entgegengestreckt. Um ihm aufzuhelfen. Er nahm Angelas Hand und löste das Unkraut nach und nach aus ihrer Faust, öffnete ihre Finger und legte seine Hand auf ihre vom Lehm verschmierte Handfläche. »Lass uns ein bisschen laufen.«
Sie wanderten durch die stoppeligen Herbstfelder. Zerbrochene Halme knirschten unter ihren Füßen. Der Hund lief ihnen voraus, schnüffelte an Sträuchern und verlassenen Erdhörnchenhöhlen. Die Herbstsonne hatte den größten Teil ihrer Wärme verloren, und die Luft roch nach nahendem Frost, nach Schnee, der sich bald schon mit weißem Gestöber wie eine Decke über die Farm legen würde. Angela sagte nichts, bis sie die Hütte am Rand des Flussbetts sahen.
»Ich nehme mir ein Jahr frei«, verkündete sie und fügte in einem Atemzug hinzu: »Ich gehe nicht zurück.«
Trevor wandte sich zu ihr und blickte ihr forschend ins Gesicht. »Warum?«, fragte er.
»Meine Eltern können die Farm allein nicht bewirtschaften. Matthew hat sein eigenes Leben. Wir werden sie verkaufen. Vorher ist noch jede Menge zu tun. Und ich muss für Mom und Dad einen Ort finden, an dem sie leben können.«
»Nein«, sagte er. »Das kannst du nicht tun.«
»Aber es ist unmöglich. Ich kann das allein nicht bewerkstelligen. Wir haben keine andere Wahl.«
Er wollte sie fragen, warum sie diese Entscheidung nicht vorher mit ihm besprochen hatte, eine Entscheidung, die ein Paar gemeinsam treffen sollte. Ein Paar. Angela und Trevor.
»Ich werde hierbleiben«, sagte er mit heiserer Stimme. »Ich kann arbeiten. Axel kann mir beibringen, was vor Wintereinbruch noch getan werden muss. Ich werde die Geräte reparieren. Saatgut für das nächste Jahr bestellen, und was ist mit...«
»Du würdest hierbleiben?«, stieß sie atemlos hervor. »Aber dein Job?«
Hinter Angelas Kopf erblickte er das pyramidenartige Steingebilde auf der Spitze des Hügels, und es schien ihm ein Zeichen zu geben; für den Bruchteil einer Sekunde glaubte er, die Umrisse eines Elefanten zu sehen, der auf dem Gipfel wartete. Er warf seine Hände in die Luft. »Verflucht, ich hasse meinen Job!«, brüllte er und küsste sie mit so viel Wucht auf den Mund, dass sie kaum das Gleichgewicht halten konnte, als er sie wieder losließ. Trevor stürmte den Hügel empor, auf das Steingebilde zu; unter ihm erstreckte sich in sämtlichen Himmelsrichtungen die Weite der Prärie. Er legte seinen Kopf in den Nacken und heulte wie ein Kojote in den Himmel. Zu seinem Erstaunen ertönte ein Antwortruf von Süden her. Am Fuße des Hügels sah Angela sich das Ganze an. Hinter ihr im Flussbett erstrahlten die Silberölweiden und die Saskatoonbüsche in den Gold- und Rottönen des Herbstes.
Er legte seine Hände wie eine kleine Schüssel um seinen Mund und verkündete dem Himmel, der weiten Prärie und der Erde zu seinen Füßen: »Farmer! Ein lausiger Farmer bin ich!«
Er wurde von dem überwältigenden Drang erfasst, sich auf dem Boden auszustrecken, und so legte er sich lang auf den Rücken. Langsam fing er an zu rollen, weiter und weiter den Hügel hinab in seinem schwarzen Beerdigungsanzug, und bei jeder Drehung wurde er schneller, und seine Schuhspitzen schaufelten Staubwolken empor in die Luft.
»Du bist ein Irrer«, kicherte Angela unter Tränen, als er vor ihre Füße rollte und sein Gesicht und seine Kleider vom Lehm und vom Gras ganz verdreckt waren. Sie warf sich auf ihn.
»Nein, ich bin ein irrer Farmer.« Er zog sie an sich und rieb seine Nase an ihrem Ohr. »Dein Farmer.«
Er öffnete das Häkchen an der Rückseite ihres Kleides und die Knöpfe, die vom Hals bis zur Taille reichten, dann ließ er seine Hände über ihre warme Haut gleiten. Caesar A. umtänzelte sie winselnd, ließ sich dann ein paar Meter weiter nieder und fing an, auf einem Stöckchen herumzukauen. Aus dem alten Flussbett erklang das Zwitschern eines
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