Mehr als ein Sommer
die Grube hineinzulugen. Seine Hand fühlte sich merkwürdig schwer an, und zwischen seinen Fingern klebte grobkörniger Dreck, wodurch er an Constance denken musste, an ihre Asche-Dosen und ihre Berichte über obskure Totenriten in anderen Ländern. Er konnte sich nicht vorstellen, Bjorne in Asche zu verwandeln. Aus dem Augenwinkel nahm er eine rasche Bewegung wahr, die seine Aufmerksamkeit erregte, und so wandte er den Kopf und sah eine buschige Schwanzspitze, die am Rand des Friedhofs hinter einem Grabstein verschwand. Scharten sich bereits die Aasfresser? Die Kojoten und die Falken? Zusammen mit der ägyptischen Gottheit mit dem Hundekopf, die Bjorne in das nächste Leben geleitete? In welchem Land war das gewesen, von dem Constance erzählt hatte, dass sie die Leichen dort in der Wildnis zurückließen, damit wilde Tiere sie zerrissen und wegschleppten? Angela stupste ihn sacht an, und er reihte sich mit ihr ein in die Schlange von Familienmitgliedern und Freunden, die schleppenden Schrittes, einer nach dem anderen, an Bjorne Steffanssons offenem Grab vorübergingen und eine Handvoll Erde auf den immer weiter verschwindenden Sarg warfen. Es passte zu Bjorne, eins zu werden mit der Erde, auf der er sein Leben lang gearbeitet hatte. Mit seinem guten Herzen, das so leicht war wie eine Feder.
Trevor presste die Hände gegen Angelas Schultern, und sie lehnte sich mit noch mehr Gewicht auf ihn. Er hatte sie zu dem Krankenhaus in Calgary gefahren, in das der Krankenwagen Bjorne gebracht hatte. Sie hatten draußen auf den Korridoren zusammen mit Helen, Axel und Nancy die zwei Tage kampiert, in denen Bjorne künstlich weiter am Leben erhalten worden war. Hilflos hatten sie dabei zugesehen, wie die Seele herausgesogen wurde aus ihrem Sohn, Bruder und Ehemann. Das Herz war nach dem Infarkt nicht mehr zu reparieren, der Schaden zu groß, die Hoffnung auf eine Operation dahin. Bjorne starb am Donnerstag um zwölf Uhr mittags. Gerade hatte er noch geatmet, sein Herz hatte geschlagen, dann war nichts mehr.
Ein Windschutz aus zitterndem Espenlaub begrenzte den Friedhof im Süden, und die goldenen Blätter raschelten im Wind wie Geistergeflüster aus den Gräbern. Er vermisste Bjorne. Seinen Freund. Wie konnte er tot sein? Zweiundvierzig Jahre alt, genauso alt wie Brent. Trevor konnte den nagenden Gedanken nicht verdrängen, dass er an allem schuld war, dass ihr Hockeyspiel im Suff der Auslöser für den tödlichen Herzinfarkt gewesen war. Er hätte es verhindern können, hätte Bjorne überreden können, nach Hause zu fahren, die ganze Sauftour hätte er ihm ausreden können. Aber es war ihm nicht in den Sinn gekommen. Er besaß nicht den Mut, es Angela zu erzählen; der Selbstvorwurf lag ihm hart und kalt im Magen wie ein Stein.
Nach der Beerdigung fuhr eine Kolonne von Fahrzeugen zurück zur Farm. Trevor half dabei, Kaffee zu brühen in Maschinen, die sie sich ausgeliehen hatten, und er stellte Platten mit Süßspeisen auf den Tisch im Esszimmer, bis die Frauen ihn aus dem Haus scheuchten. Er fand Angela mit Caesar A. im Garten. Sie zupfte Unkraut, und an der Stelle, an der sie zwischen den Beeten mit Möhren und Roter Bete kniete, war das Vorderteil ihres Kleides vom Lehm ganz verdreckt. Voller Zorn riss sie händeweise Hornkraut und Löwenzahn aus dem Boden. Der Hund versuchte, ihr über das Gesicht zu lecken, aber sie schob ihn immer wieder von sich.
Trevor wusste nicht, wie er die rechten Worte finden sollte. Er hockte sich drei Beete weiter unten hin und fing an, Pflanzenhalme aus der lockeren, gut gehackten Erde zu rupfen, warf sie auf die Gehwege zwischen den Beeten. Zwischendurch blickte er immer mal wieder zu Angela herüber, aber die hörte nicht auf zu arbeiten, mit gesenktem Kopf und vorgeschobenen Schultern. Was hätte Bjorne zu seiner trauernden Schwester gesagt? Zu ihm? Los, frag sie? Aber das konnte er nicht tun, es war weder die rechte Zeit, noch war es der rechte Ort.
Ein Schatten fiel über das Beet, gerade als er sich mit der ganzen Hand eine blättrige grüne Pflanzenspitze geschnappt hatte.
»Was zur Hölle machst du da?«
Er blickte auf. Angela hatte sich dräuend vor ihm aufgebaut, die Finger gegen den Mund gepresst. Die andere Hand hatte sie voller Löwenzahn, und damit schlug sie ihm mitten auf seinen Kopf.
»Zupfe Unkraut?«
»Du reißt die ganzen Möhren aus, du Trottel.«
»Ach du Schande.« Trevor verzog das Gesicht und blickte nieder auf die Pflanze in seiner Hand. Angela drehte sich
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