Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mehr als ein Sommer

Mehr als ein Sommer

Titel: Mehr als ein Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Eriksson
Vom Netzwerk:
zurück und setzte sich ein paar Körperlängen von dem steif werdenden Körper auf den Boden, um zu warten.

18

    »Asche zu Asche, Staub zu Staub«, las der Pastor aus dem Gebetbuch. Seine schwarze Soutane flatterte im Wind der Prärie. Acht Männer senkten zwei Särge in das Loch hinab. Trevor drehte und wandt sich, seine Hand verschwitzt in Tante Gladys’ Klammergriff. Er wollte zu dem Loch hinübergehen und nachsehen, ob es ein Ende hatte, einen Boden. Oder dabei zuschauen, wie die hölzernen Kisten geradewegs in die Feuer der Hölle stürzten. Er wollte es den Leuten auf dem Friedhof in die Gesichter schreien, den Frauen, die in ihre Spitzentaschentücher weinten, den Männern, die ernst und feierlich ins Leere starrten. Alle in Schwarz.
    Er wollte schreien: »Es war nicht ihre Schuld!«
    Doch stand der Beweis für die Sünden seiner Eltern geradewegs vor den Trauernden: zwei kleine Jungen, in winzigen schwarzen Anzügen und mit Krawatten, denen Tante Gladys mit ihrer Spucke das Haar nach hinten an den Kopf geklatscht hatte und denen sie jetzt ihre eiskalten Finger in ihre Schultern hineingrub, damit sie still standen.
    Onkel Pat schaufelte den letzten Spatenstich Erde auf die Gräber. Die Frauen verstreuten Blumen aus dem Geschäft in der Stadt: weiße Lilien und Chrysanthemen und noch andere, deren Namen er nicht kannte. »Unechte Blumen« hatte seine Mutter sie genannt. Sie hatte immer eine Vase mit Wildblumen aus der Prärie in der Mitte des Küchentischs stehen gehabt: Krokusse im Frühling, Magnolien, Gänseblümchen, Wildrosen und blauen Flachs im Sommer.
    Die Leute liefen hintereinander in schweigenden Zweier- oder Dreiergrüppchen vom Friedhof zur Kirche, die wie ein weißer Leuchtturm auf der Spitze eines runden Hügels stand. Sie aßen getrocknete Datteln und schlürften Tee aus Porzellantässchen, und ihre Unterhaltung verlagerte sich bereits vom Unglück, das Trevors Eltern ereilt hatte, zur jüngsten Entwicklung der Weizenpreise und dem Mangel an Regen.
    Brent schnappte sich die Hand seines Bruders und zog ihn hinter die Kirche. Dort saßen die beiden Jungen auf den Holzschaukeln und ließen ihre Sonntagsschuhe durch den Dreck schleifen. Brent sprang auf die Querverbindung der Wippe, grätschte seine Beine, sodass seine Füße rechts und links von dem im Boden verankerten Mittelstück standen, und dann ruckte er mit seinem Körper so lange von einer Seite zur anderen, bis das lange Brett waagerecht in der Luft schwebte. Mit einem lauten Aufschrei sprang er hinunter. Das eine Ende der Wippe schlug mit einem knallenden Geräusch auf den Boden und wippte noch zweimal nach. Die Wucht des Aufpralls hinterließ eine tiefe Furche in der schwarzen Erde.
    Die beiden Jungen wälzten sich auf der Kuppe des Hügels im Gras. Trevor wusste, dass sie sich ihre Anzüge nicht schmutzig machen durften, und sagte es seinem Bruder. Brent zog sich die Jacke aus, nahm seine Krawatte ab und half Trevor aus seinen Sachen heraus. Dann schlang er seinen Arm um Trevors Schultern. Die Brüder kauten auf langen Halmen Rispengras und starrten hinaus auf die Prärie. Über ihnen jagte ein Falke mit rostfarbenen Schwingen und kreischte nach seinem Abendessen.
    »Guck mal, was ich mache.« Brent streckte sich der Länge nach auf dem Boden aus, die Arme über dem Kopf, die Beine eng zusammengepresst. Langsam rollte er in Richtung des Abhangs. Sein Körper rollte schneller auf der Schräge, immer schneller und schneller; die Grashalme bogen sich unter ihm, und wo seine Schuhe den Boden trafen, stoben ganze Stöße von Staub in die Luft. Trevor konnte Brents Gesicht und sein weizenblondes Haar, das an ihm vorüberwirbelte, nur immer zwischendurch aufflackern sehen. Am Fuß des Hügels blieb Brents Körper liegen. Er rührte sich nicht.
    »Brent?« Trevors dünnes Stimmchen erklang zitternd von der Kuppe des Hügels. Er hoffte, dass sein Bruder nicht tot war. Wen würde er sonst noch haben? Fast fing er an zu weinen, als Brent sich aufrappelte und das weiße Hemd seinen mageren Oberkörper umflatterte, ganz schwarz vom Schmutz, auch seine Sonntagshose war verdreckt. Er brüllte wie ein zorniger Löwe und schlug mit den Armen um sich, als er den Hügel wieder hinaufstürmte. Staub wehte von seiner Kleidung, sein Gesicht wurde puterrot. Feuer loderte in seinen Augen. Brent blieb vor Trevor stehen und legte seine Hand auf die Schulter seines Bruders. Seine Rippen hoben und senkten sich unter der feinen Baumwolle seines schmutzigen

Weitere Kostenlose Bücher