Mehr als Ja und Amen - Doch wir koennen die Welt verbessern
fragen und muss nicht Vorgefertigtes „schlucken“. So entsteht mutiger Glaube, der Anfechtungen durchstehen, auf einen heilsamen Weg bringen und da auch bleiben kann.
Vorgefertigtes nicht „schlucken“ und vorgegebene Formeln nicht „nachbeten“, darum geht es. Gleichzeitig haben die alten liturgischen Formeln ihren Sinn: Sie nehmen mich hinein in Glaubenserfahrungen von Generationen vor mir und entlasten mich bei der Formulierung von Glaubensäußerungen. Freiheit im evangelischen Sinne ist nie der Libertinismus, mit dem Freiheit heute allzu oft verwechselt wird, sie ist nie die Trivialisierung von Traditionen, Werten und Standpunkten. Nein, zuallererst geht es um Freiheit in Glaubens- und Gewissensfragen, die sich entwickeln im Studium der Bibel, im Dialog mit Gottes Wort, das wir in den biblischen Glaubenszeugnissen finden. Daraus entwickelt sich Weltverantwortung. Freiheit im evangelischen Sinne ist auch nie liberal im Sinne von absoluter Individualität, sondern sie weiß sich bezogen auf die gemeinsame biblische Grundlage und die Gemeinschaft, in der wir leben.
Die biblischen Zeugnisse sind für mich immer wieder Orientierung. Auch in diesem Buch ziehe ich sie zur Argumentation heran. Dabei ist mir bewusst: Aus dem Zusammenhang gerissene biblische Verse können allenthalben benutzt werden, um dies oder das zu begründen. Es geht darum, sie im Kontext zu begreifen – im Kontext ihrer Entstehung, aber auch im Kontext unseres gegenwärtigen Lebens. Mir liegt daran, die Glaubenserfahrungen, die uns die Bibel überliefert, mit unserer Glaubenserfahrung heute in einen Dialog zu bringen, ohne biblische Texte zur „Moralkeule“ mutieren zu lassen. Eine lebendige Auseinandersetzung ist das Ziel! Wie kann Glaube heute relevant werden und wie helfen uns dabei die Zeuginnen und Zeugen des jüdischen Glaubens, wie die Erfahrungen der ersten Christinnen und Christen?
Eine junge Studentin an der Candler School of Theology erzählte mir, dass ihre Eltern sie nur sehr ungern zum Studium geschickt hätten. Sie gehört zur Southern Baptist Convention , einer sehr konservativen Südstaatenkirche in den USA. Die junge Frau hatte sich durchgesetzt, und einige Wochen später, als wir uns beim Essen in der Mensa trafen, berichtete sie mit leuchtenden Augen von ihren Entdeckungen. „Stell dir vor, all das wusste ich überhaupt nicht über die Bibel“, sagte sie strahlend. Sie hatte einen großen Hunger nach Wissen, und ich bin überzeugt, das wird ihren Glauben nicht infrage stellen, sondern vertiefen.
Im Galaterbrief macht Paulus am Thema „Beschneidung“ deutlich, welche Freiheit er meint (Gal 5,1–6). Das Thema ist heute auf ganz eigene Weise wieder aktuell geworden. Eine ethische Herausforderung zwischen Religionsfreiheit und Kindesrecht, in der ich es äußerst schwierig finde, Stellung zu beziehen. Wir können als Christinnen und Christen nur sagen, dass Paulus eines meint: Nicht religiöse Gesetze müssen wir befolgen, sondern Gottes Lebenszusage macht uns frei. Den Galatern schreibt er: Ihr braucht solche Zeichen nicht! Ja, ihr sollt respektieren, was andere in ihrer Religion praktizieren. Aber nichts, was ihr tut, kein Ritual, das ihr befolgt, macht euch vor Gott zu einem guten Christen, einer guten Christin. Das ist auch heute inmitten der neueren Diskussion zu diesem Thema wegweisend.
Ich befürchte jedoch, dass heute mitunter neuer Druck zur Gesetzlichkeit erzeugt wird. Oh ja, Rituale sind wichtig für religiöse Praxis und auch Zusammenhalt. Aber Rituale dürfen nicht zum Gesetz werden! Wochenlang schweigen, regelmäßig beten und den Gottesdienst besuchen, „7 Wochen ohne“ – das sind gute spirituelle Ausdrucksmöglichkeiten, aber keine Belege für Glauben. Das Evangelium ist kein Moralkodex. Es geht um Leben im Alltag der Welt mit Haltung, Verantwortung und dem Prüfen des eigenen Gewissens.
Für mich ist Luthers Haltung in Worms vor weltlicher und kirchlicher Macht das Symbol christlicher Freiheit. Es ist eine innere Grundüberzeugung, die sich vor Gott verantwortet, die eigenen Gewissensentscheidungen an der Bibel misst und sie dann konsequent umsetzt. Es ist eine Freiheit, die für Luther das Ergebnis eines Bildungsvorgangs ist. Er hat die Bibel in die deutsche Sprache übersetzt, damit Menschen selbst lesen und verstehen dürfen, ihr Gewissen schärfen und nicht angewiesen sind auf Bilder und Übermittlung durch andere. In seinem Brief an den deutschen Adel christlicher Nation hat er Schulen
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