Mehr als Ja und Amen - Doch wir koennen die Welt verbessern
selbst zu denken! Die Kirchen haben diese Entwicklung nicht gerade befürwortet; manche verstehen die Aufklärung bis heute als „Verfall“, so etwa die russisch-orthodoxe Kirche, die den Kirchen der Reformation immer wieder Liberalisierung und angebliche Anpassung an den Zeitgeist vorwirft 15 . Aber selbst denken, selbst urteilen – das sind reformatorische Errungenschaften! Wir können sie befürworten, denn christlicher Glaube meint nicht Angst vor dem Denken, sondern Ermutigung dazu! Daraus folgen Glaubensfreiheit und Religionsfreiheit, aber auch politische Freiheit, Meinungs- und Pressefreiheit. Freiheit ist ein für den christlichen Glauben entscheidender Begriff, der aber auch in anderen Kontexten und Religionen immer wieder neu Bewegung erzeugt. Wir konnten das 2011 im sogenannten Arabischen Frühling sehen. Menschen standen im Norden Afrikas für ihre Freiheit auf: Redefreiheit, Pressefreiheit, Bewegungsfreiheit, gleiche Freiheit für Männer und Frauen. Die Sehnsucht nach Freiheit lässt Mutlose mutig werden, treibt Verzagte auf die Straße, bringt Ängstliche zum Aufbegehren.
Die Frage wird sein, ob Christinnen und Christen sich ihres Erbes bewusst genug sind, um energisch für die Freiheit einzutreten – für die eigene, aber auch für die Freiheit des anderen. Es geht zuallererst um die Freiheit des Glaubens, sich von den gesellschaftlichen Vorgaben zu lösen. Der Zöllner, zu dem Jesus kommt, kann die Angst um „das Haben“ verlieren. „Der Ruf“, „die Beurteilung“, „der Status“, sie werden zweitrangig, weil Gott uns Status, Ruf und Lebenszusage gibt. Das ist Freiheit.
In der Konsequenz geht es um Freiheit des Gewissens. Sie bringt Religionsfreiheit und Meinungsfreiheit mit sich, weil ich anderen zugestehen kann, dass sie anderer Meinung sind. Ich kann die Angst davor verlieren, dass „meine Wahrheit“ von anderen nicht geteilt wird, und ihnen das Recht zugestehen, andere Wege zu finden. Für mich ist Jesus Christus „der Weg, die Wahrheit und das Leben“, aber ich habe die Freiheit zu sehen, dass andere Menschen andere Wege und Wahrheiten für sich sehen. Das kann auch verletzen; der jüngste Karikaturenstreit oder die Auseinandersetzungen um den Mohammed-Film zeigen das. Das lateinische Verb „tolerare“ meint „ertragen“. Es geht um ein Aushalten von Verschiedenheit, um die Freiheit, meinen Glauben zu bekennen ohne Angst, dass andere Überzeugungen meinen Glauben und mich selbst infrage stellen.
Ja, in der Tat, Luthers sogenannte reformatorische Entdeckung hat die Frage nach den individuellen und politischen Freiheiten mit sich gebracht. Aber sie war nur die Konsequenz der Frage nach einer ganz anderen Freiheit. Martin Luther fühlte Enge, Angst; die Frage, wie er sein Leben so leben könnte, dass es vor Gott „gerecht“ wäre, also Sinn hätte, trieb ihn um.
Die Taufe als Quelle der Freiheit
Es ist ein Psalmvers, der Luther auf die Spur seiner Entdeckung bringt: „da ist keiner, der Gutes tue“ (Ps 13,1). Er begreift, dass niemand, was immer er auch tut, dem eigenen Leben Sinn gibt und vor Gott ein irgendwie bedeutsames, eindrucksvolles, „gerechtfertigtes“ Leben führt. In der Folge seiner Psalmenvorlesung zwischen 1518 und 1521 entwickelt Martin Luther immer klarere theologische Grundsätze. So fragt er, ob es nicht eine völlige Verfremdung, ja, eine „babylonische Gefangenschaft“ der Kirche sei, wenn etwa das Abendmahl zu einer Art guten Tat wird und der Priester sogar Verstorbene gegen Bezahlung von Sünden freisprechen kann. Für Luther wird immer klarer: Nicht Menschen müssen sich die Lossprechung von Sünden verdienen, sondern die Taufe ist das zentrale Ereignis und Sakrament. Hier sagt Gott einem Menschen Gnade, Liebe, Zuwendung, Lebenssinn zu. Und alles Scheitern, alle Irrwege des Lebens können das nicht rückgängig machen. Gehen wir zur Taufe zurück, brauchen wir keine Buße, kein Bußsakrament: Wir sind erlöst, wir sind längst Kinder Gottes. „ Baptizatus sum – ich bin getauft“– in den schwersten Stunden seines Lebens hat Martin Luther sich das gesagt und darin Halt gefunden.
Die Tauftheologie Martin Luthers hat in den vergangenen Jahren dazu geführt, auch Kindern das Abendmahl auszuteilen. Wenn die Taufe so zentral ist, wenn wir durch die Taufe ein für alle Mal aufgenommen sind in die Lebenszusage Gottes, was sollte uns dann davon abhalten, auch das Abendmahl zu empfangen? Ich habe zunächst damit gehadert und war nicht wirklich
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