Mehr als Ja und Amen - Doch wir koennen die Welt verbessern
begeistert, als eine Pfarrerin meiner ältesten Tochter das Abendmahl austeilte, bevor sie konfirmiert war. Aber letzten Endes hatte sie recht. Es kann nicht der Verstand und die persönlich Zustimmung sein, die wir vermeintlich mit der Konfirmation abfragen. Die Zusage Gottes zu unserem Leben steht mit der Taufe!
Am 9. September 2012 habe ich in der Kreuzkirche in Dresden gepredigt. Bei der anschließenden Begegnung im Gemeindehaus kam eine Frau zu mir und erzählte, dass sie auf dem Weg zum Glauben sei, sich der Gemeinde verbunden fühle, aber sie habe Angst vor diesem letzten Schritt: der Taufe. Sie habe in ihrem Leben so viele Fehler gemacht, da gebe es so viele Unzulänglichkeiten, sie traue sich eigentlich nicht, so vor Gott zu treten. Mich hat das sehr berührt, weil es ja eigentlich Luthers Frage ist: Wie kann ich vor Gott überhaupt bestehen? Ich habe versucht, sie in dieser kurzen Begegnung zu ermutigen: Nicht sie muss auf irgendeine Weise „perfekt“ leben, sondern sie kann ihr Leben mit all den Tiefen und Erfahrungen von Scheitern getrost und ermutigt leben, weil das alles in der Taufe aufgefangen ist von Gottes tiefer Lebenszusage. Und es werden gerade ihre Lebenserfahrungen sein, die das Leben mit der Gemeinde bereichern.
Kontrastgesellschaft
Auch das kennzeichnet ja die Kontrastgesellschaft, die in den Seligpreisungen sichtbar wird: Nicht im Perfekten, sondern im Verletzlichen sind wir Gott nah. In unseren schwersten Stunden können wir auf unser Gottvertrauen und auf das Vertrauen in Mitmenschen setzen. Nicht Karriere, Konsum und „Kohle“ sind entscheidend, sondern Bindung, Beziehungen und Bibel. Wenn wir hier investieren, sind wir langfristig viel stabiler als alles, was irgendein Markt oder eine Börsennotierung uns vermeintlich an Sicherheit zusagen können. Salopp gesagt: Auf der „Drei-B-Basis“ kann Vertrauen wachsen, in Gott und auch ins Leben.
Luthers Doppelsatz ist dafür besonders eindrücklich: „Der Christenmensch ist ein freier Herr aller Dinge und niemandem untertan. Der Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.“ Über die Jahrhunderte hinweg ist das eine Kurzbeschreibung eines Spannungsverhältnisses. Da wird gerungen um die rechte Balance.
Die Freiheit eines Christenmenschen ist einerseits ganz ohne Voraussetzung, schlicht von Gott geschenkte Freiheit. Und doch ist sie nicht ohne Folgen. Niemandem untertan – wie wichtig ist das auch heute! Ganz gleich, was die Menschen sagen, egal, wo ich auf der Hierarchieleiter eingestuft werde – Gott sagt mir Lebenssinn zu. Der sterbende alte Mann ist nicht weniger wert als der millionenschwere Fußballprofi. Das schöne Model auf dem Laufsteg zählt nicht mehr als das schwerstbehinderte kleine Mädchen. In solcher Glaubenssicht der Welt zählt ein Mensch jüdischen Glaubens nicht weniger als ein Christ, und ein Muslim ist aus dem Blickwinkel des Glaubens betrachtet nicht weniger Geschöpf Gottes mit eigener Würde als ein Mensch ohne religiöse Überzeugung. Jeder Mensch hat eine eigene Würde, weil jeder Mensch einen Schimmer des Ebenbildes Gottes in sich trägt. Gott sagt mir Bedeutung zu, nicht die Erfolgskategorien dieser Welt. Das ist Luthers Erkenntnis. Und sie wirkt befreiend, auch heute!
Aber die Freiheit eines Christenmenschen beinhaltet eben auch, allen untertan zu sein. Nein, nicht duckmäuserisch und angepasst wie in Heinrich Manns Roman „Der Untertan“, sondern mit Empathie engagiert für den Nächsten und deshalb interessiert an der Welt. So können Christinnen und Christen heute an ihrem Ort wirken: klar und weltoffen, für Gerechtigkeit und Frieden und Schöpfungsbewahrung. Weil sie innerlich frei sind, können sie gegen den Zeitgeist handeln – sie wissen sich dennoch untertan der Sache des Reiches Gottes mitten in der Welt.
Oh ja, christliche Freiheit, von der Paulus spricht, und reformatorische Freiheit, von der Luther redet, sie sind hochaktuell. Kein alter Schinken von gestern, sondern eine Frage von Gewissen, Verantwortung und Haltung. Für Paulus, für Luther, für die Moltkes und für uns heute ganz gewiss auch.
Ich wünsche mir mehr Mut zu neuen Blickwinkeln, mehr Aufmerksamkeit für aktuelles Geschehen und die Fähigkeit, eine reflektierte Haltung zu entwickeln. Ich hoffe darauf, dass wir die Kraft haben, uns von den Erfolgskategorien zu lösen, die uns derart bedrängen.
Gebildeter Glaube
Es geht um errungene Freiheit! Sie will erarbeitet sein, er-lesen
Weitere Kostenlose Bücher