Mehr als Ja und Amen - Doch wir koennen die Welt verbessern
Eltern Zeit zu haben! Aber wir müssen und dürfen auch sehen, dass es viel Kraft kostet.
Vielleicht ist es erst einmal wichtig, die eigene Erschöpfung wahrzunehmen. Mir selbst zuzugestehen, dass ich nicht mehr kann. Und mich auf die Suche nach einer Kraftquelle zu machen.
Eine Frau erzählte mir neulich, sie sei auf einer Tagung gewesen und ihr Mann habe an dem Wochenende die Kinder versorgt. Sie sei so glücklich gewesen, intellektuell gefordert, Frühstück am gedeckten Tisch, abends nicht auf die Uhr schauen, sondern mit anderen bei einem Glas Wein ohne Druck plaudern. Wenn sie sich das ehrlich anschaue, müsse sie sagen, sie habe keine Lust gehabt, nach Hause zu fahren. Aber das dürfe sie natürlich niemandem erzählen.
Warum eigentlich nicht? Warum sind diese Bilder, denen wir meinen, entsprechen zu müssen, so stark?
Erschöpfung und Leistungsdruck
Als meine Kinder klein waren, lebte meine Mutter eine halbe Stunde Autofahrt entfernt und war gerade in den Ruhestand getreten – ein Segen für mich! Wenn ich völlig verzweifelt war, weil ich nicht wusste, wie ich beispielsweise die Sonntagspredigt zustande bringen oder mit meiner Doktorarbeit weiterkommen sollte, kam sie und nahm mir für drei, vier Stunden die Kinder ab. Das war wie ein Glückshormon! Die Tür zumachen können und wissen: Den Kindern geht es gut, du kannst dich jetzt ganz entspannt an den Schreibtisch setzen. Und meine Mutter sagt bis heute, dass sie glücklich war, das leisten zu können.
Eine solche Großmutter braucht eigentlich jede Mutter – oder auch gern einen Großvater! Es geht darum, dich einmal zurückziehen zu können. Danach hast du auch wieder Lust zum Lego-Bauen oder Bilderbücher vorlesen. Der Gottesdienst hatte früher eine solche Rückzugsfunktion: Frauen durften einfach nur still sitzen. Aber der Rückzug war eben auch Konzentration, Kraftquelle, Stärkung der Seele, Erleben von Gemeinschaft! Auch heute kann ein Gottesdienst das bewirken: sich tragen lassen von Musik und alten Versen, sich anregen lassen von Texten und ihrer Interpretation. Weit weg sein von Alltagszwängen oder gerade diese bedenken und neu sortieren. Liturgie und Gottesdienst sagen auch: Ich kann mich fallen lassen in eine Tradition, die mich hält und trägt, ohne Entscheidungen, ohne Kampf, ohne Diskussion. Und so kann ich gestärkt zurückgehen in den Alltag der Welt.
Die Erschöpfung rührt aber eben daher, dass unser Leben ganz über Leistung definiert wird. Nur wer viel leistet, ist angesehen, beziehungsweise nur, wer an einem bezahlten Arbeitsplatz viel leistet.
Als eine junge Frau aus meinem Bekanntenkreis sich um eine Wohnung bewarb und erklären musste, dass sie keine feste Stelle hat, sondern nur einen Praktikumsplatz, hieß es, das könne sie gleich vergessen. Aus Sicht des Vermieters verständlich, aber für die junge Frau mit einem hervorragenden Studienabschluss ein Schlag ins Gesicht. Denn langfristig abgesicherte Stellen gibt es immer weniger, wenn alles outgesourct oder zum Projekt gemacht wird. Und wer eine feste Stelle hat, wird alles tun, um sie zu behalten. Da gibt es einen enormen Zwang, mithalten zu müssen, länger zu arbeiten als vereinbart, „total“ engagiert zu sein. Ein Hamsterrad, in dem nicht allzu viele Fragen erlaubt sind. Für viele, gerade junge Leute, ist es ein Schlag ins Gesicht, der sie deprimiert: Wir werden nicht wirklich gewünscht, gebraucht, unsere Ausbildung, unsere Leistung ist nichts wert.
Und es gibt eine Art Druck, für die Stärkung unseres Selbstwertgefühls auch noch fortwährend zu sagen, wie voll der eigene Kalender ist. „Keine Zeit“ – das ist fast ein Indiz für Bedeutsamkeit geworden. Wer kann denn schon sagen: „Ach, ich hab nicht viel zu tun, mir geht es gut“? In einer Fernsehsendung ließ ein Politiker, der sterbenskrank war, seinen Terminkalender einblenden, wohl um zu zeigen, dass er trotz Krankheit voll leistungsfähig war. Mich hat das irritiert, ja es tat mir weh – vielleicht hätte seine Familie jetzt intensive Zeit mit ihm gebraucht. Oder er intensiv Zeit für sich selbst?
Wer muss sich durch Hyperaktivität beweisen? Auf einer Fahrt im ICE habe ich kürzlich erlebt, wie ein Mann von Bochum bis Hannover in sein Handy krakeelte. Er erledigte einen Anruf nach dem anderen, ein Stressgespräch folgte aufs nächste. Der ganze Großraumwagen wusste inzwischen, um welche Verträge es ging, welcher Zeitdruck da war, was beschleunigt werden musste. Allein vom Zuhören bekam
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