Mehr als Ja und Amen - Doch wir koennen die Welt verbessern
ich Stress. Auch mit einigen Metern Abstand war es kaum auszuhalten. Wir anderen fingen an, ironische Bemerkungen zu machen, lauter zu reden. Der Megatelefonierer merkte jedoch nichts, sondern telefonierte laut weiter. In Hannover stieg ich entnervt von so viel und derart lauter Hyperaktivität in einen anderen Großraumwagen um …
Leistung definiert in unserer Gesellschaft offenbar den Menschen. Und gleichzeitig wird das ganze Leben ökonomisiert. Es muss sich alles rechnen. Und alles muss perfekt sein. Eine junge Frau erzählte mir, ihre Ehe sei daran gescheitert, dass sie dem Perfektionsdruck ihres Mannes nicht entsprechen konnte. Sie sollte eine bessere Stelle haben, schlanker sein, mehr Sport treiben, besser sein im Bett und größere Brüste haben. Das heißt, auch das Aussehen und das Beziehungsleben werden zum Stressfaktor. Selbst dort soll alles perfekt laufen: richtige Figur, entsprechende Kleidung, sportlich sein, gebildet, Zeitung lesen, mithalten können, interessant im Kollegenkreis – dafür reichen aber 24 Stunden am Tag eigentlich nicht. Auf diese Weise entsteht Dauererschöpfung. Und manche müssen sich eingestehen: „Ich kann einfach nicht mehr!“
Die neuen Medien erhöhen den Druck noch zusätzlich. George Orwell hätte sich wohl nicht träumen lassen, wie sehr sein Roman „1984“ Wirklichkeit werden würde. Nicht nur „Big brother is watching you“, alle überwachen dich. Es gibt beispielsweise diese Reklame für ein neues Handy. Du fragst: „Wo ist Tom?“ Und dein Handy sagt: „Ich glaube, Tom ist gerade hier!“ Da gruselt es mich! Ich möchte nicht, dass jeder weiß, wann und wo ich bin. So sehr ich mich freue, wenn mir das Handy in Berlin den Weg weist, so schnell schalte ich die Ortungsfunktion danach auch wieder aus.
Viele Menschen tragen selbst dazu bei, dass Orwells Horrorvision von der totalen Transparenz beziehungsweise Überwachung Wirklichkeit wird. Sie schreiben bei Facebook (fast) alles über ihr Leben und stellen Bilder ein, die ich allenfalls im engen Freundeskreis zeigen würde. Und all das schaut sich dann ein potenzieller Arbeitgeber vor der Einstellung an. Was ist das für ein Mitteilungsbedürfnis, das nicht mehr zwischen „privat“ und „persönlich“, zwischen „intim“ und „öffentlich“ unterscheiden kann?
Ein besonderes Problem ist, dass „öffentliche“ Personen Persönliches nicht ganz aus der Öffentlichkeit heraushalten können. Aber Privates schon. Meine Brustkrebserkrankung und unsere Scheidung konnte ich nicht geheim halten: Eine Bischöfin kann nicht zwei Monate alle Termine absagen, ohne das zu erklären. Und sie kann auch nicht ihren Mann kommentarlos „verschwinden“ lassen. Die Landeskirche hat damals die Fakten als Pressemeldung mitgeteilt, aber über die Umstände der Scheidung etwa habe ich nichts erzählt. Und die Reporterin, die versuchte, am Tag meiner Krebsoperation in mein Zimmer zu kommen, hat die Krankenhausleitung dankenswerterweise hinausbefördert …
Es ist daher zu überlegen, ob wir dulden wollen, dass Menschen unter dem Vorwand der Transparenz „durchleuchtet“ werden. Inzwischen erleben wir, dass fast jede Person öffentlich vernichtet werden kann, wenn Journalisten sie aufs Korn nehmen oder eine Art „Jagdfieber“ entwickeln. Eine merkwürdige Entwicklung, die einen bedrückenden Blick nicht nur auf die Medien, sondern auch auf die Gesellschaft insgesamt wirft.
Seelenfrieden finden
Ich denke, der zitierte Ausspruch von Jesus – „Denn wer sein Leben erhalten will, der wird es verlieren …“ – ist eine Einladung, aus diesem Hamsterrad auszusteigen. Ich muss mich doch fragen, was dieses Leben mit meiner Seele macht! Wenn es in der Bergpredigt heißt: „Selig sind, die reinen Herzens sind“, dann hat das auch damit zu tun, dass wir mit uns im Reinen sind, denke ich. Kann ich mich frei machen von all dem Druck, der sich mir auf Herz und Gemüt legt, verdunkelt, wer ich sein will, was mir wichtig ist, ja, wer ich bin und wo mein Leben entscheidenden Halt findet? Ein reines Herz, das klingt naiv. Wie das alte Kindergebet: „Ich bin klein, mein Herz ist rein, soll niemand drin wohnen als Jesus allein.“ Sicher, darüber lächeln wir. Oder stöhnen auch über solche Texte, die einen Hauch von Kitsch haben. Allzu herzig klingt das. Aber ein reines Herz haben, das kann ja auch etwas anderes bedeuten. Nicht verschlagen sein. Nicht in allem nach dem eigenen Vorteil suchen, auch in Beziehungen nicht. Das
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