Mehr als Ja und Amen - Doch wir koennen die Welt verbessern
dass, wie Petra Bahr schreibt, Tugenden keine Richter oder Wächter brauchen, sondern „Charaktere, also im Wortsinn geprägte Persönlichkeiten“ 25 . Zu diesen Tugenden zählt sie Höflichkeit, Haltung des Herzens, Freimut, Tapferkeit, Besonnenheit, Klugheit, Dankbarkeit, Demut, Humor, Barmherzigkeit, Maß und Muße. Und in der Tat, Menschen mit solchen Grundhaltungen sind überzeugend, nicht korrumpierbar, innerlich frei. Wie Willy Brandt, der niederkniete und wusste, dass ihm das Kritik einbringen würde – es war aber eine Haltung des Herzens. Wie Ole von Beust, der sich nicht erpressen ließ, als seine Homosexualität öffentlich gemacht werden sollte – das war Freimut. Wie Aung San Suu Kyi, die sich dem Militärregime nicht beugte – das war Tapferkeit. Wie Nelson Mandela, der nicht zum Kampf gegen „die Weißen“ aufrief, als er endlich aus dem Gefängnis freigelassen wurde, sondern zur Versöhnung – das war Besonnenheit. Solche Menschen imponieren uns, weil sie innerlich frei sind vom Urteil der anderen. Weil sie Maßstäbe kennen, die größer sind als die Schlagzeile des Tages.
Prioritäten setzen
In einem Bericht über Globalisierungsgewinner auf verschiedenen Kontinenten wird von einer Familie aus Shanghai berichtet. Die 33-jährige Technikerin Lu Wei hat es mit Mann und Kind „geschafft“. Sie haben ein gutes Einkommen, eine schöne Wohnung und können sich eine Reise nach Europa leisten. Lu Wei sagt: „Ich bin ganz zufrieden, aber ehrlich gesagt: Die große Leidenschaft ist mein Beruf jetzt nicht. Doch Arbeit ist auch nicht alles im Leben. Mir sind andere Dinge – Glück, Gesundheit, unsere Familie – wichtiger als viel Geld.“ 26 Eine tiefgründige Erkenntnis. Ob Lu Wei sie freimütig äußern kann, weil sie in einem Land lebt, in dem ein solcher Aufstieg zu privatem Wohlstand noch eher die Ausnahme ist?
Dauererschöpfung und „Burn-out“ dürfen doch nicht das Leben bestimmen! Das Glücklichsein, das die Seligpreisungen zusagen, lebt vom Kontrast, vom Gegenhalten, von einem anderen Blick auf mich selbst, auf die Zusammenhänge, auf die Gesellschaft. Einmal innehalten und fragen: Wie würde ich mein Leben, rückwärts gesehen, gern gelebt haben? Das kann helfen, Entscheidungen zu treffen. Es muss nichts bleiben, wie es ist. Wir müssen nicht beim Ja und Amen stehen bleiben. Wir können die Spirale der beruflichen Belastung durchbrechen, indem wir Prioritäten setzen und Nein zu sagen lernen. Dann eben weniger Karriere, aber mehr Leben. Es ist möglich, unsere Beziehungen zu erneuern. Vergangenes kann bewältigt werden, wir können über Verletzungen und Schuld sprechen und neu anfangen. Und ja, wir können Freiräume schaffen, die Spirale der Dauererschöpfung durchbrechen: Morgen früh ist Spaziergang angesagt. Und den Samstag verbringe ich auf dem Sofa, koche mir einen Tee und lese einfach nur ein Buch. Sonst nichts.
Am Ende der biblischen Josefsgeschichte sind die Brüder beunruhigt darüber, ob Josef nach dem Tod des Vaters nun doch noch Rache dafür üben wird, dass sie ihn verraten und verkauft haben, für all das Leid, für das sie verantwortlich sind. Er sagt: „ Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen, aber Gott gedachte, es gut zu machen, um zu tun, was jetzt am Tage ist, nämlich am Leben zu erhalten ein großes Volk. So fürchtet euch nun nicht; ich will euch und eure Kinder versorgen. Und er tröstete sie und redete freundlich mit ihnen “ (1. Mose 50,20–21). Die Brüder waren unruhig, in Erwartung von Zorn und Vergeltung. Josef hatte jedoch die Freiheit zu einem neuen Blick gewonnen. Eine schreckliche Familientragödie konnte ein gutes Ende nehmen, weil jemand vergeben konnte, die Vergangenheit mit anderen Augen anschaute und so für sich innere Freiheit gefunden hat. So wurde Versöhnung möglich, weil Schuld geklärt war. Die wechselseitigen Zumutungen, Verletzungen, Belastungen wurden bewältigt, Neuanfänge wurden möglich, und die Spirale des „Wir können nichts mehr ändern oder gar wiedergutmachen“ wurde durchbrochen. Es gab Vergebung von Schuld und Neuanfang ohne Angst. Wie ermutigend, wie tröstlich!
Eine Kirchenvorsteherin sagte mir vor einiger Zeit: „Ich kann die Geschichte vom barmherzigen Samariter nicht mehr hören! Die ist so ausgelutscht! Gibt es nicht auch noch andere Geschichten zu diesem Thema in der Bibel?“ Und in der Tat, die Botschaft ist so klar und überzeugend, dass jener Samariter Allgemeingut geworden ist. Und der Begriff
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