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Mehr als Ja und Amen - Doch wir koennen die Welt verbessern

Mehr als Ja und Amen - Doch wir koennen die Welt verbessern

Titel: Mehr als Ja und Amen - Doch wir koennen die Welt verbessern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margot Kaessmann
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das biblische Schutzgebot verkürzt, und der Bibel folgend wäre der dafür entscheidende Grund: „… denn er ist wie ihr“! Wenn das Gebot ohne den begründenden Zusatz bekräftigt und proklamiert wird, verführt es geradezu dazu, die Pointe zu verfehlen! Die Schwachen laufen Gefahr, auf ihre Schwachheit festgelegt und geradezu in die passive Rolle hineingedrängt zu werden. Sie sind dann nur Objekte unserer Hilfe, ausgeschlossen von eigener Aktivität und Selbstbestimmung, während die vermeintlich Starken sich auf ihre Stärken festlegen (lassen). So werden die Schwachen zu einem Objekt von Sorge und Fürsorge. Damit würde, der Sache und dem Gebot völlig unangemessen, ein „Wir“ konstituiert, zu dem die Schwachen nicht mehr dazugehören. So entsteht Exklusion!
    Diakonie aber sieht im hilfsbedürftigen Menschen den Nächsten, sieht den anderen auf Augenhöhe. Mich hat das beim Besuch des „Fairkauf“-Kaufhauses in Hannover sehr beeindruckt. Das Konzept sieht vor, dass Menschen, die Überfluss haben, ihre Kleidung, Bücher, Geschirr, Möbel dorthin bringen können. Die Sachen werden dann für einen geringen Preis verkauft. Aber sie werden verkauft, nicht erbettelt. Der Kunde kann sich etwas leisten, hat eine eigene Würde. Und es ist kein Armenkaufhaus, denn es mischen sich zum Teil auch viele Nichtbedürftige darunter, die hier manches Großartige finden oder auch die Atmosphäre mögen, die in keiner Weise irgendwie „schmuddelig“ ist. Zudem wurden 21 Arbeitsplätze für Menschen geschaffen, die es auf dem Arbeitsmarkt schwer haben und die sich nun wiederum mit Ehrenamtlichen mischen, die ihre Lebenserfahrung einbringen. Das ist großartig, finde ich – die Schwachen werden nicht bedrückt, sondern in einem Miteinander, in dem Menschen einander auf Augenhöhe begegnen, als Gegenüber ernst genommen.
    Wertschätzung
    Wertschätzung scheint mir bei der Frage nach einer Ethik der Barmherzigkeit ein Schlüsselbegriff, eine Herausforderung, damit diese christliche Tugend nicht unter die Räder des Missbrauchs oder der Verniedlichung gerät. Sie ist noch mehr als eine Grundhaltung, sie begründet eine spezifische Tradition des Helfens und der Zuwendung, die mit einem bestimmten Menschenbild und vor allem dem prägenden Gedanken der Menschenwürde einhergeht. Aber sie wird eben allzu leicht verniedlicht. Noch einmal Petra Bahr: „Wo Barmherzigkeit im Spiel ist, ist die Scham nicht weit. Wenn Demut die traurigste ist, ist die Barmherzigkeit die heikelste unter den Tugenden. Sie muss auf Zehen gehen und braucht Fingerspitzengefühl.“ 27 Besser ist die prekäre Lage des Begriffs kaum auszudrücken.
    Allzu leicht wird Barmherzigkeit abqualifiziert. Aber wie sehr brauchen wir diese Tugend! Ich habe so manche Altenheime, Tageseinrichtungen für Demenzkranke und Wachkomastationen besucht, in denen darum gerungen wird, dass eben nicht „satt und sauber“ die Leitnorm der Betreuung ist. Eindrücklich in Erinnerung ist mir ein Besuch in einem Heim für Demenzkranke, in dem auch eine Gruppe aus der Kindertagesstätte regelmäßig vorbeischaut. Ich konnte einen Jungen beobachten, der sich mit einer älteren Dame einen Ball zuwarf. Der etwa Fünfjährige tat das mit großer Geduld und rief immer wieder: „Versuch es noch mal, Ilse, du schaffst das!“ Und Ilse, die ungefähr 80 Jahre alt war, juchzte vor kindlichem Vergnügen und versuchte es noch einmal. Eine anrührende Szene …
    Ein anderes Beispiel: Neben mehreren betreuten Wohngemeinschaften alter Menschen in Berlin, zum Teil völlig selbstständig, zum Teil demenzkrank, liegt eine Kindertagesstätte. Auch hier kommen die Kinder jede Woche vorbei und singen mit den Alten. Da wird gelingendes Miteinander neu aufgebaut, denn Kinder und Alte sitzen fröhlich und respektvoll beisammen. Es geht um ein Miteinander in Barmherzigkeit und Würde. Lebensqualität war bei beiden Erfahrungen ganz offensichtlich für Kinder wie für Alte vorhanden.
    „Ihr sollt Witwen und Waisen nicht bedrücken“ , heißt es einprägsam im 2. Buch Mose (22,20). Die Witwen und Waisen werden immer wieder als besonders schutzbedürftig dargestellt. In der patriarchalischen biblischen Gesellschaft waren sie nahezu rechtlos, völlig angewiesen auf die Unterstützung anderer.
    Übertragen auf die unterstützungsbedürftigen Menschen in unserer Gesellschaft – zum Beispiel auf die Menschen mit geistigen und körperlichen Behinderungen – heißt das nichts anderes, als dass die Starken, die

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