Mehr als Ja und Amen - Doch wir koennen die Welt verbessern
Nächsten- und Selbstliebe in ihrem beruflichen Alltag folgen, erleben nach meiner Erfahrung trotz aller Belastungen die hohe Motivation und Zufriedenheit, die der Umgang mit anderen Menschen hervorruft. Nur so ist zu erklären, dass die alltägliche Arbeit noch immer funktioniert, trotz extremer finanzieller Einschnitte ins System. Dass Pflegekräfte eine enorme zeitliche Flexibilität an den Tag legen, wenn es darum geht, ihre Klienten, Kolleginnen und Kollegen nicht im Stich zu lassen. Wichtig ist, dass unsere Gesellschaft – wir miteinander – wertschätzt, was da geleistet wird! Das gilt auch für die Entlohnung! Es kann nicht angehen, dass die Tugend der Barmherzigkeit schamlos ausgenutzt wird. Kennzeichen sozialer Arbeit sind ein überzeugtes Ethos, ein enormes Verantwortungsgefühl für die Anvertrauten und eine tiefe Form der Wertschätzung von hilfsbedürftigen Menschen. Eine Wertschätzung der Pflegekräfte aber ist oft nicht zu erkennen. Auch hier zeigt sich für mich die Bedeutung eines christlichen Menschenbildes, das die Würde des Menschen nicht an seiner Leistungskraft misst und die Arbeit mit den Schwachen hoch wertet. Natürlich höre ich schon die Einwände, das sei nicht finanzierbar. Wir sehen in diesen Zeiten, was alles finanzierbar ist, wenn es um die Rettung von Banken geht. Die Frage ist doch, was wir finanzieren wollen. Und da steht für mich die würdige Betreuung und Pflege alter Menschen ganz oben auf der Werteskala, auch wenn diese wenig Lobby haben.
Um ein Ethos wie das der Wertschätzung, eine Tugend wie die der Barmherzigkeit und eine Kultur des Vertrauens in einem Segenskreislauf zu leben, ist ein „Wir-Gefühl“ notwendig. Ein Arbeitgeber im sozialdiakonischen Bereich etwa, der Wertschätzung und Würde nur auf seine „Klienten“, nicht aber auf seine Mitarbeitenden bezieht, wird als Dienstleister schnell unglaubwürdig. Wenn die Mitarbeitenden der Kirche sich nicht mit dieser identifizieren, gibt es ganz schnell ein Glaubwürdigkeitsproblem!
Bei einem Treffen mit Führungskräften wurde mir kürzlich entgegnet, mit allzu viel Zuwendung zu Mitarbeitenden sei kein Unternehmen zu führen. Das halte ich für einen großen Irrtum.
Eine Studie von John Hattie hat beispielsweise gerade nachgewiesen, dass die Effektivität der Arbeit eines Lehrerkollegiums wesentlich vom Schulleiter abhängt. 29 Ein Unternehmen, ob diakonisch oder nicht, lebt davon, dass die Mitarbeitenden sich mit ihm identifizieren, ganz gleich, auf welcher Hierarchieebene sie stehen. Der Schaffner, der mir im Zug begegnet, zeigt mir, wer die Deutsche Bahn AG ist. Ist er ruppig, unfreundlich, schlecht gelaunt, entsteht ein negatives Bild des Unternehmens. Kommt er freundlich, weil hoch motiviert und wertgeschätzt daher, sehe ich es mit anderen Augen. Arbeitgeber tragen nicht nur Verantwortung für schwarze Zahlen oder Gewinn, sondern auch für das Betriebsklima, weil genau das nach außen wirkt. Die Börsennotierung ist nicht Maßstab allein. Es geht an dieser Stelle um eine geistige, für mich auch geistliche Grundhaltung. Ernst gemeinte Wertschätzung dagegen generiert Sinn, Vertrauen und Identifikation – Unternehmenswerte, die nach außen strahlen. Verantwortungsbewusstes Personalmanagement wird so zur Repräsentanz gerade für die Kernleistungen eines (Sozial-)Unternehmens.
Das Gottesbild Jesu hat also weitreichende Folgen. Denn wenn Gott in dem kranken und hilfsbedürftigen Menschen, dem Flüchtling und der Gefangenen präsent ist, dann bekommt diakonisches Handeln, das ich als Umsetzung der Tugend der Barmherzigkeit in praktisches Handeln verstehe, eine ganz eigene Würde. Und die ist erfahrbar, etwa im Hospital Lilienthal. Dort nahm sich nach dem Zweiten Weltkrieg die hannoversche Landeskirche mehrfach schwerstbehinderter Kinder an, die von ihren Eltern auf der Flucht ausgesetzt worden waren oder in den Kriegswirren verloren gegangen waren. „Siechen“ nannte man sie damals, die – so wurde angenommen – nicht lange leben würden. Die reine Verwahranstalt von damals mitten im Nachkriegschaos ist heute eine Behinderteneinrichtung von großer Kompetenz.
Anlässlich des Besuches der Landesbischöfin führte vor einigen Jahren die Theatergruppe das Stück „Räuber Hotzenplotz“ vor Gästen und Mitbewohnern auf. Diese Theatergruppe ist etwas ganz Besonderes. Alle Schauspieler sind mehrfach behinderte Erwachsene. Gar nicht so einfach für den Regisseur, der Profi ist! Als der Räuber Hotzenplotz im
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