Mehr als Ja und Amen - Doch wir koennen die Welt verbessern
momentan nicht auf Hilfe zur Bewältigung ihres Lebens angewiesen sind, daraufhin angesprochen werden können und müssen, dass auch sie nicht immer im Vollbesitz ihrer körperlichen und geistigen Kräfte gewesen sind – und es auch nicht immer bleiben werden! Als Säuglinge, als Kinder, ja, auch als Jugendliche, oft bis weit über die Volljährigkeitsgrenze hinaus, waren wir alle der Erfahrung ausgesetzt, auf Pflege, Annahme, Förderung und Unterstützung angewiesen zu sein. Und es kann schnell passieren, dass wir es wieder werden, wenn wir es nicht schon längst wieder in der einen oder anderen Hinsicht sind.
Daran mögen die Gesunden und Leistungsfähigen nicht gerne denken und erinnert werden. Aber betroffen sind wir alle davon. Die mit Behinderungen in unserer Mitte lebenden Menschen sind nicht kategorial von uns unterschieden, sondern nur graduell. Und über die Unterstützungsbedürftigkeit sind wir mit ihnen verbunden, und zwar unlöslich. Die Gewohnheit und unsere Sprache lassen uns das oft vergessen und verdrängen. Die mit Behinderungen lebenden Menschen nennen wir, wenn die Behinderung einen bestimmten Grad überschritten hat, „Behinderte“ und machen ihr Angewiesensein auf Unterstützung so zu dem herausragenden Merkmal ihrer Identität. Im Gegenzug klammern die „Gesunden“ jedoch ihr eigenes Angewiesensein auf Unterstützung – in der Gegenwart, in Vergangenheit und Zukunft – aus ihrer Selbstbezeichnung und Identität aus, solange sie können. Das ist eine Belastung für ein befreites Miteinander.
Segenskreislauf der Barmherzigkeit
Gott ist bei denen, die leiden. Es kann die Erfahrung einer Gottesbegegnung sein, wenn Menschen sich den Armen und Kranken, den Gefangenen und Verfolgten zuwenden: Gott ist ja auch bei denen, die sich erbarmen! So konsequent stellt sich Gott an die Seite von uns Menschen, dass Christus selbst uns in dem alten, dementen Menschen begegnet. Barmherzigkeit ist dabei keine herablassende Geste, sie ist eine Begegnung! Es ist etwas anderes, ob ich mich herunterbeuge und einen Euro in die Mütze des Bettelnden lege oder ob ich ihm in die Augen schaue und eine Obdachlosenzeitung kaufe. Diakonische Projekte haben sich immer dadurch ausgezeichnet, dass der Empfangende nicht der Beschämte ist, sondern wir uns in einem Kreislauf des Segens sehen. In unserem Leben sind wir alle irgendwann darauf angewiesen, auch wenn wir jetzt vielleicht vor Kraft strotzen. Wer das weiß, gibt anders, ist freigebig, froh und dankbar, für andere eintreten zu können. Dem Leben – jedem Leben – wird Würde zugesprochen. Und wer an der Würde des Lebens arbeitet, arbeitet am Evangelium. Es geht daher auch um Barmherzigkeit mit denen, die für andere eintreten oder eintreten wollen.
Manches Mal kommt es aber auch zur Selbstausbeutung zugunsten hilfsbedürftiger Menschen. Das darf nicht unterschätzt werden. Gerade in sozialen Berufen greift oft tiefe Erschöpfung um sich. Hier gilt es, politisch für angemessene Bezahlung einzutreten und öffentliche Anerkennung für diese Berufe zu reklamieren. Wir können nicht Ja und Amen dazu sagen, dass Pflegekräfte völlig überlastet sind und im Minutentakt Pflegeleistungen erbringen müssen. Menschen sind keine Maschinen. Eine solidarische Gesellschaft muss Wert darauf legen, dass in Würde gepflegt und betreut wird und diese enorme Leistung anständig, ja würdig bezahlt ist.
Das heißt: Ich verantworte, was ich tue, vor Gott. Daran zeigt sich meine Lebenshaltung, meine Einstellung. Ich liebe den Nächsten, andere Menschen also, und werde für ihre Rechte eintreten, auch politisch. Aber ich darf mich eben auch selbst lieben. Dabei kann es auch ein Akt der Barmherzigkeit sein, Grenzen zu ziehen. Das Nächstenliebe-Gebot ist ja ein Auftrag mit drei Schlüsselpunkten: Gottesliebe, Nächstenliebe und Selbstliebe. Ich kann mich auch einmal abgrenzen und an mich denken, Kraft für mich schöpfen, um wieder Kraft für andere zu haben. Da geht es um beides: ein Eintreten für gute Ausbildung und angemessene Bezahlung für Pflegekräfte auf der einen und ein ehrenamtliches Engagement, wie etwa bei den Grünen Damen in Krankenhäusern und Altenheimen oder bei Ehrenamtlichen im Hospizdienst auf der anderen Seite. Freie Zeit kann zur sehr sinnvollen Zeit werden, weil es Zeit für andere ist.
Im Grunde unserer Existenz und durch den Verlauf unseres Lebens von der Wiege bis zur Bahre sind wir mit denen, die wir „Behinderte“ oder „pflegebedürftig“
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