Mehr als Ja und Amen - Doch wir koennen die Welt verbessern
ist der Punkt, an dem auch dem Verstorbenen fernstehende Personen Abschied nehmen können. In etlichen Traueranzeigen steht heute, von Beileidsbekundungen am Grab bäten die Angehörigen abzusehen, doch das ist ja auch der Ort, an dem das Beileid ausgedrückt werden kann. Klar ist in vielen Traueranzeigen auch nicht, was ihre Funktion ist. Soll Trauer ausgedrückt werden, wird der Verstorbene angesprochen: „Du fehlst uns“, oder: „Danke für die schönen Jahre. Gute Reise!“ Oft wird auch der kleine Prinz von Saint-Exupéry zitiert: „Wenn du bei Nacht den Himmel anschaust, wird es dir sein, als lachten alle Sterne, weil ich auf einem von ihnen wohne, weil ich auf einem von ihnen lache.“ 84
Immer seltener werden – jedenfalls in Berlin – Bibelverse herangezogen, die aber doch etwas über Auferstehungsglauben aussagen. Ich denke da an Psalm 27, Vers 1: „Der Herr ist mein Licht und mein Heil; vor wem sollte ich mich fürchten? Der Herr ist meines Lebens Kraft; vor wem sollte mir grauen?“ Oder das Jesus-Wort: „ Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben, auch wenn er stirbt“ (Joh 11,25). Oder schlicht: „Fürchte dich nicht!“ , ein Wort, das wie ein cantus firmus immer wieder aus der Bibel klingt. Solche Zuversicht kann der Glaube ausdrücken, und es ist traurig, wenn sie Menschen samt der Rituale von Trauer und Tod abhandenkommt. Für mich ist christlicher Glaube kein „Opium des Volkes“, mit dem Menschen sich betäuben, die das Leben nicht ertragen und Angst vor dem Sterben haben. Er ermutigt gerade zum Hinsehen. Natürlich kann ich gegen den Tod aufbegehren, er hat seinen eigenen Schrecken. Aber er ist Teil des Lebens. Der Tod ist für Menschen, die an Gott glauben, kein Punkt, sondern ein Doppelpunkt, kein Exitus, als endgültiges Ende, sondern ein Introitus, ein Übergang in eine neue Existenz, von der wir allerdings nicht wissen, wie sie aussehen mag. Oder, mit Heinz Zahrnt gesprochen: „Der Tod ist kein hoffnungsloser Fall!“
Wir brauchen Rituale
Wie sehr Rituale uns Halt geben, habe ich oft erlebt. Besonders in Erinnerung geblieben ist mir ein Gottesdienst aus Anlass eines Busunglücks in der Nähe von Hannover, bei dem 20 Menschen verbrannt sind. Die Marktkirche in Hannover wurde von Angehörigen, Einsatzkräften und auch Menschen, die sich schlicht betroffen fühlten, besucht. Auch eine Reihe junger Mädchen saß darunter, die herzzerreißend schluchzten, denn eine Mitschülerin war unter den Toten. Sie war mit den Großeltern auf einer Ausflugsfahrt gewesen und ebenfalls verbrannt. Die Mädchen waren dort ohne Angehörige oder Lehrerin, sie fühlten sich in dieser Kirche offensichtlich fremd und hatten keine Form für ihre Gefühle, ihre Angst und Trauer. Ich ging dann zu ihnen und sagte, jede könne eine der bereitstehenden Kerzen entzünden, auf die Altarstufen stellen und still an ihre Freundin denken. Das tun zu können, was ich Gebet nennen würde, hat auf einmal eine große Ruhe ausgestrahlt. Die Hilflosigkeit wurde durchbrochen durch das Ritual, die Lähmung durchbrochen durch die Geste.
Besonders gilt das oft für einen Tod, auf den wir uns nicht vorbereiten konnten. „Plötzlich und unerwartet.“ Das tut weh, das lässt sich auch nicht wegdiskutieren. Als junge Pfarrerin stand ich am offenen Sarg eines fünfjährigen Mädchens. Ein Infekt, unklar, was die Ursache war. Marie-Louise hatte ihre Barbie-Puppe in der einen und ein paar Schneeglöckchen in der anderen Hand. Mir fielen keine Worte ein, aber gemeinsam mit Eltern und Großeltern konnte ich das Vaterunser beten. Da wurde mir klar, dass wir gerade in einer Situation von Schock Halt finden in Worten, die größer und älter sind als wir selbst, in Ritualen, die Trauer wie Freude Form geben, weil wir spontan keine Form dafür haben.
Bei alledem zeigt sich aber eines: Wir können den Tod nicht bagatellisieren. Am Ewigkeitssonntag 2011 war ich Gast in der Talkshow bei Günther Jauch, in der todkranke Männer auf sehr tapfere, ja nahezu gelassene Weise über den eigenen Tod sprechen konnten. Das war einerseits wichtig. Andererseits ging mir ein Vers der Dichterin Masha Kaléko durch den Sinn: „Den eigenen Tod, den stirbt man nur, mit dem Tod der anderen muss man leben.“ Es ist schwer, Abschied zu nehmen. Der Verlust, die Trauer, sie brauchen Raum und Zeit. Fritz Roth, einer der Teilnehmenden, starb wenige Wochen später im Advent. Er war zuversichtlich im Angesicht des Todes. Ich
Weitere Kostenlose Bücher