Mehr als Ja und Amen - Doch wir koennen die Welt verbessern
nicht. In Trauergesprächen wurden immer wieder Situationen geschildert, bei denen auf dem Flur oder schnell mal in der Abstellkammer hastig hervorgebracht wurde, da sei nichts zu machen. Wie kann der Arzt oder die Ärztin zu den wartenden Angehörigen gehen und lapidar erklären, dass der Patient nicht zu retten war? An diese Situation werden die Angehörigen sich ein Leben lang erinnern! Dafür muss Zeit, Raum, Sensibilität sein, das muss eingefordert werden, auch im Klinikbetrieb! Darf eine Pflegerin mehr Zeit bei einem Menschen verbringen, der den letzten Weg antreten muss – soweit ich weiß, ist das im Dienstplan nicht vorgesehen. Ebenso wie Angehörige haben auch Pflegekräfte eine große Belastung zu meistern. Es ist gut und wichtig, dass es in vielen Krankenhäusern inzwischen „Konsilien“ gibt, Beratungsgremien bei ethischen Grenzsituationen, oder auch Ethikkommissionen. Auch Ärztinnen und Ärzte sowie Pflegekräfte brauchen Begleitung, Seelsorge, Supervision. Hier kann nicht alles bleiben, wie es ist; Sterben und Tod brauchen ihren eigenen Raum. Der Mensch steht im Mittelpunkt, nicht die Effektivität und der Zeitdruck der Leistungsgesellschaft!
Das gilt übrigens auch für Polizisten und Pfarrerinnen, Polizistinnen und Pfarrer. In meiner ersten Gemeinde verunglückten vier Männer auf der Heimfahrt von der Nachtschicht bei einem Unfall mit einem LKW tödlich. Zwei der Toten waren aus meiner Gemeinde, und die Polizeidienststelle fragte an, ob ich den Kollegen beim Überbringen der Nachricht begleiten würde. Ich war Ende 20, der Polizist noch jünger. Wir hatten es beide nicht gelernt und konnten uns nur auf unsere Intuition verlassen. Ich habe das als schrecklich schwer erlebt. Vergessen werde ich nicht, dass die Angehörigen offenbar an unseren Gesichtern schnell erfassten, dass etwas Furchtbares passiert war. Die Mutter des einen Mannes saß im Garten und putzte gerade Bohnen. Sie ließ das Messer sinken und wurde aschfahl im Gesicht. Die Ehefrau des anderen begegnete uns auf ihrem Weg zum Arbeitsplatz. Sie schaute mich an und schrie. Das ist nicht leicht zu verkraften. Deshalb ist es gut, dass es inzwischen Notfallseelsorgerinnen und -seelsorger gibt, die Unfallopfer, aber eben auch die Einsatzkräfte betreuen, denn diese haben Bilder vor Augen, die sich nicht so leicht verdrängen lassen.
Wann immer ich aber Menschen erlebt habe, die mit dem eigenen Sterben bewusst umgehen, war ich tief beeindruckt. Es geht doch auch um meine eigene „Klugheit“, von der der Psalmbeter spricht. Kann ich hinschauen? Bin ich bereit zu begreifen, dass meine Zeit begrenzt ist? Wie will ich bewusst leben in den Jahren, die mir noch zur Verfügung stehen? Und wie will ich sterben? Als Pfarrerin bin ich immer wieder Menschen begegnet, die sich gefragt haben: „Was hätte meine Mutter jetzt entschieden?“ – „Was hätte mein Mann gewollt?“ Weil zu wenig darüber gesprochen wurde, war das unklar.
Reden über Sterben und Tod
Vor einiger Zeit schrieb mir eine Ärztin eine E-Mail. Ihre Patientin befinde sich in der Endphase des Sterbens, habe meine Bücher gelesen, und ihr größter Wunsch sei, mich einmal zu sprechen. Sie wolle nicht aufdringlich sein, frage aber an, ob ich sie nicht anrufen könne. Den Gedanken, eine völlig fremde Frau anzurufen, die im Sterben liegt, fand ich zunächst belastend. Nach zwei Tagen habe ich es aber abends in aller Ruhe getan. Ihre Freundin ging ans Telefon und reichte mich weiter. Ich habe mit dieser Frau, die in meinem Alter war, gut sprechen können. Sie war tapfer, gelöst, hatte fast so etwas wie Glaubensheiterkeit, von der der Liederdichter Spitta einmal sprach. Da war Trauer um das, was ungelebt bleiben würde, aber auch große Gefasstheit, Dankbarkeit und Gottvertrauen. So ein Gespräch kann ich nicht „einfach wegstecken“, es ist bewegend, anrührend, es geht nach. Ein paar Wochen später schrieb mir ihre Freundin, die Dame, die ich angerufen hatte, sei friedlich in ihrem Beisein eingeschlafen und habe sich ungeheuer gefreut, mit mir gesprochen zu haben. Mich hat das eher beschämt, denn wie wenig ist so ein Gespräch angesichts einer derart existenziellen Situation. Aber ich konnte mich auch daran freuen, dass unter Christen solche Gespräche möglich sind.
Solche Erfahrungen machen Mut: Geht bewusst auf die Sterbenden zu. Begleitet sie! Wagt es, Kinder und Jugendliche einzubeziehen! Das möchte ich gern in den Raum rufen, der so leer und verzagt und tabuisiert
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