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Mehr als Ja und Amen - Doch wir koennen die Welt verbessern

Mehr als Ja und Amen - Doch wir koennen die Welt verbessern

Titel: Mehr als Ja und Amen - Doch wir koennen die Welt verbessern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margot Kaessmann
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hatte. Als wir zum Grab der Kinder gingen, sagte der Vater: „Sie sind Teil der Familie. Ich habe vier Kinder, nicht zwei.“
    Die andere Begegnung war die mit einer alleinerziehenden Mutter. Ihr Sohn kam gesund zur Welt, aber als er drei Jahre alt war, wurde bei ihm ein Gehirntumor diagnostiziert, der lebensbedrohlich ist. Der Vater des Kindes verließ sie. Seitdem kämpft sie allein um das Leben ihres Sohnes, der heute 13 ist. Manchmal kann sie nicht mehr kämpfen, weil sie nach so vielen Jahren erschöpft ist, und das Kinderhospiz Sonnenhof in Berlin entlastet sie dann. Aber zu sehen, wie sehr sie ihren Sohn liebt, das ist bewegend. Im Gespräch erzählte sie mir: „Ich bin so dankbar, dass er nicht als Kleinkind gestorben ist, sondern dass ich ihn so lange erleben durfte.“
    Im Sonnenhof der Björn Schulz Stiftung in Berlin werden schwerstbehinderte Kinder mit ihren Eltern umsorgt; da gibt es Kinderlachen und Freundlichkeit bei allem Schmerz. Und beim Kinderhospiz in Syke war anrührend zu sehen, wie Eltern ihre Kinder auf dem letzten Weg begleiteten, und oft waren auch deren Geschwister dabei.
    Wir alle haben Angst vor dem Sterben, vielleicht noch mehr Angst vor dem Tod derer, die wir lieben, als vor dem eigenen. Aber im Sterben, konfrontiert mit dem Sterben, wächst auch Liebe, entsteht Lebenstiefe und paradoxerweise Zärtlichkeit. Eine Frau, die mir von ihrer Angst vor dem Tod der Mutter erzählt hatte, schrieb mir hinterher: „Es war ein tief bewegendes Erlebnis. Ich hatte das Gefühl, meine Mutter hat mich ins Leben hineinbegleitet, und jetzt sitze ich hier, halte ihre Hand und begleite sie aus diesem Leben hinaus.“ Und eine Freundin sagte: „So viele Jahre habe ich mit meiner Mutter gehadert und gekämpft und jetzt am Ende ihres Lebens empfinde ich eine ganz große zärtliche Liebe zu ihr.“
    Sterben tut weh
    Ich will den Tod nicht schönreden. Er tut weh. Und nicht alle können in Frieden sterben. Aber er ist nicht nur Schrecken. Kürzlich schrieb mir eine Frau, sie habe mich einmal sehr kritisiert, als ich gesagt habe, der Tod sei der größte Feind des Menschen. Sie schickte mir ein Zitat von Dorothee Sölle aus ihrer „Mystik des Todes“: „Jedes Lied, das wir singen, kommt und geht, jeder Sommerabend ist vergänglich, nicht ewig. Vergänglichkeit aber ist nicht unser größtes Unglück. Dass ein jegliches Ding seine Zeit hat (Pred 2), lehrt uns der alte Lehrer Tod. Der Kreislauf der Erde, der Rhythmus des Lebens, ist eine Bedingung für das, was wir Liebe nennen.“ Ich weiß nicht mehr genau, ob ich das so gesagt habe, aber die Frau hat recht. Der Tod kann grausam sein, aber eben auch Erlösung bringen. Für einen sehr kranken Menschen, für einen sehr alten Menschen. Um es mit Paulus zu sagen: „Tod, wo ist dein Stachel?“ Und doch tut es unendlich weh, einen Menschen zu verlieren, den wir lieben.
    Suizid
    Am schlimmsten ist es wohl, wenn ein solcher Mensch sich selbst das Leben nimmt, ohne dass wir geahnt hätten, dass er solche Gedanken hegt. In dem Film „Luther“ aus dem Jahr 2003 mit Joseph Fiennes in der Hauptrolle wird die Erkenntnis der „Rechtfertigung allein aus Glauben“ in eine Szene übersetzt, in der Luther einen jungen Selbstmörder gegen die kirchlichen Vorgaben auf dem kirchlichen Friedhof christlich bestattet. Eine unhistorische, aber gute Darstellung! Gott vergibt doch dem verzweifelten Menschen, was sonst wäre Gnade? Aber welche Last ein Selbstmörder zurücklässt, das ist furchtbar. Ich erinnere mich an einen Vorfall, bei dem die Kinder ihren Vater mit aufgeschnittenen Pulsadern in der Badewanne fanden. Welche lebenslange Belastung hat er ihnen aufgebürdet! Oder denken wir an Selbstmörder, die sich vor Züge werfen: Wie viele Lokführer müssen mit solchen Bildern im Kopf leben! Auch wer am Leben verzweifelt, hat doch eine Verantwortung für andere.
    „Statistisch gesehen stirbt in Deutschland alle 53 Minuten ein Mensch durch Suizid; zusammengenommen sind dies jährlich mehr als die Summe aller Opfer von Verkehrsunfällen, Gewalttaten, Drogen und Aids.“ 90 Manches Mal heißt es, je mehr darüber berichtet werde, desto höher der Nachahmer-Effekt. Vielleicht müssen wir aber mehr darüber sprechen, wie viel Leid ein Suizid mit sich bringt, damit diese enorm hohe Zahl sich verringert. Tabuisierung scheint mir nicht der richtige Weg. Wir müssen darüber reden, hinschauen und fragen, welche Ängste, ja, welche abgrundtiefe Einsamkeit hinter solchen

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