Mehr als Ja und Amen - Doch wir koennen die Welt verbessern
ist. Es ist ein gewaltiges Ereignis im Leben eines Menschen, einen Sterbenden zu begleiten, das vergisst niemand. Dafür braucht es aber Zeit, dafür müssen wir Prioritäten setzen, vielleicht beruflich, auf jeden Fall innerlich und zeitlich. Dafür braucht es Respekt mit Blick auf Angehörige, Pflegende, Ärztinnen und Ärzte. Und dafür braucht es eine Gesprächskultur, in der wir das Sterben ins Leben holen.
Kürzlich saß eine Frau bei mir auf dem Balkon, die erst die Mutter und dann den Bruder verloren hatte. Sie brauchte keine großen Worte, sie brauchte Zeit, miteinander Schweigen, einen geschützten Raum zum Weinen und das Gefühl, sich für all das nicht entschuldigen zu müssen. Es geht um gegenseitige Seelsorge, die Menschen in ihrer Trauer ernst nimmt und sie nicht gleich wieder mit „Reiß dich zusammen“, „Wird schon wieder“, „Geht vorbei“ beschwichtigt oder zum Verstecken ihrer Gefühle drängt.
Der Tod hat ja auch eine zarte, ja, erlösende Seite. Im Mai 2009 habe ich in Bremerhaven eine Ausstellung unter dem Titel „Noch einmal leben vor dem Tod“ eröffnet. Sie zeigte Bilder von Menschen, die kurz vor und kurz nach ihrem Sterben – mit ihrem Einverständnis! – fotografiert worden waren. 89 Diese Bilder sind in einem Buch festgehalten. Sie sind wirklich bewegend, anrührend. Da sind alte Frauen und Männer, aber auch Junge, ja, Kinder zu sehen. Sie alle haben zugestimmt, so fotografiert zu werden. Was mich bewegt hat, insbesondere bei den großen Bildern der Ausstellung: Manches Mal wirken die Verstorbenen befreit. Da ist eine tiefe Ruhe, die all die Kämpfe und das Ringen vergessen machen.
Und ich habe als Pfarrerin erlebt, dass auch die Angehörigen lernen müssen, jemanden sterben zu lassen. Bei einer alten Dame tat mir besonders weh, dass ihre Kinder sie noch ins Krankenhaus bringen ließen, als es auf das Ende zuging, weil sie Angst hatten, irgendetwas zu versäumen. Statt friedlich zu Hause einzuschlafen, lag sie also in einem Dreibettzimmer im Klinikbett. Diese Aufregung hätte ich ihr gern erspart. Früher war gewiss nicht alles besser. Aber Sterben und Tod waren Teil des Lebens und haben die Menschen nicht gleich in Panik versetzt. Zu Hause sterben zu dürfen, nicht durch die Hand eines anderen, sondern an der Hand eines anderen, das ist ein Segen.
Belastungen
Viele Familien sind mit der Pflege am Lebensende überlastet. Wer nimmt denn wahr, was das heißt, wenn die sterbende Mutter mehrfach nachts ruft? Welcher Arbeitgeber gewährt eine Auszeit für die letzte Lebensphase des Ehepartners? Gut, inzwischen gibt es bei den besseren Arbeitgebern bis zu vier Tage „Sonderurlaub“ im Todesfall eines nahen Angehörigen. Aber das reicht bei Weitem nicht aus! Eine Gesellschaft, die auf die Würde der Menschen Wert legt, wird viel mehr Raum schaffen müssen. Wenn eine Schwangere sechs Wochen vor der Geburt und acht Wochen danach Mutterschutz hat, warum sollte das nicht auch für diejenigen möglich sein, die Sterbende begleiten?
Deshalb ist es großartig, dass immer mehr Menschen sich in der ambulanten Hospizbewegung engagieren und die Pflegenden unterstützen. Ebenso sind Hospize wunderbare Einrichtungen und sie werden gegen manches Vorurteil immer offener angenommen. Als ich das erste Hospiz in Ostfriesland, in Leer, eingeweiht habe, wurde erzählt, dass alle Anwohner sich über den Bau gefreut und mehr als 1000 Menschen einen Tag der offenen Tür genutzt hatten, sich das Hospiz anzuschauen. So holen wir die Sterbenden wieder in unsere Mitte, selbst wenn sie nicht zu Hause sterben können. Beim Uhlhorn Hospiz in Hannover konnte ich bei zwei Sommerfesten erleben, wie Mitarbeitende, Angehörige, Unterstützende und Sterbende miteinander ein Fest des Lebens gefeiert haben, mitten in Trauer und Tod.
Wenn Kinder sterben
Zwei Begegnungen für die ZDF-Sendung „Mitten im Leben“ haben mich zu diesem Thema tief berührt. Bei der einen ging es um eine Familie, deren Drillinge viel zu früh auf die Welt gekommen waren und auf der Neonatalstation der Charité um ihr Leben kämpften. Beide Eltern mussten erst eine Tochter, dann einen Sohn beim Sterben begleiten. Der dritte Junge überlebte mit Behinderungen. Wie viel Kraft kostet das! Wie mit der Trauer weiterleben, als Paar, aber auch als Eltern? Sie hatten sogar den Mut zu einer weiteren Schwangerschaft; ein zweiter Junge wurde gesund geboren. Ich habe die Familie bewundert, besonders die Mutter, die so viel Schmerz zu ertragen
Weitere Kostenlose Bücher