Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mehr als nur ein Zeuge

Mehr als nur ein Zeuge

Titel: Mehr als nur ein Zeuge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Keren David
Vom Netzwerk:
Munition gegen |121| ihn, falls er sich später wegen meiner Mutter über mich lustig macht. Als ich mir Schuhe ausgesucht habe, bitte ich den Verkäufer an der Kasse, sie für mich zurückzulegen, dann drehe ich mich um und sage hinter dem Rücken von Carls Mutter, sodass nur er es hören kann: »Tschüss, Häschen!«
    Ich höre die Mutter noch sagen: »Das ist aber ein netter Junge.« Carl schäumt vor Wut.
    Als ich in das laute, grelle Durcheinander von
Topshop
komme, habe ich auf einmal wahnsinnige Sehnsucht nach meiner Tante Emma, die das Babysitten immer mit Shoppen kombiniert hat. Zu meinen frühesten Erinnerungen gehören Glitzerarmbänder und glänzende Schuhe, Kuckuck-Spielen hinter den Vorhängen in den Umkleidekabinen und Verstecken zwischen den Kleiderstangen.
    Als ich neun war, haben Emmas Freunde gesagt, entweder ich oder sie, außerdem war Mum der Meinung, dass es meine Männlichkeit gefährde. Arron und ich wurden in Nathans Boxclub verfrachtet, wo wir unsere Samstage damit verbrachten, wie die größeren Jungs gegen einen Sandsack zu dreschen und zu hoffen, dass niemand auf die Idee kam, uns tatsächlich in den Ring zu schicken. Trotzdem bin ich in meiner Familie als ausgezeichneter Stilberater bekannt. Ein Talent, für das ich sonst natürlich nicht groß Werbung mache.
    Ich schlendere hinter Mum her, die immer mehr Klamotten von den Ständern nimmt und auf einen Stapel mit Sachen legt, die sie anprobieren will, da stelle ich |122| fest, dass ich mitten ins Hauptquartier des Joe-Andrews-Fanclubs gestolpert bin. Ich erkenne ungefähr zwanzig Mädchen aus der Schule und alle winken sie oder kichern oder strahlen mich an. Als wir endlich die Umkleidekabinen erreicht haben und das wunderbare Sofa für Freunde, Partner und unglückselige Söhne davor, ist sie plötzlich auch da. Ashley Jenkins. Und sie ist nicht besonders gut drauf.
    »Ich führ dir dann vor, was mir am besten gefällt.« Mum verschwindet hinter dem Vorhang. Ich setze mich neben einen bulligen Kerl, der eine Autozeitschrift liest, und fange an, ebenfalls in den Zeitschriften zu blättern, die dort in weiser Voraussicht ausliegen. Aber so leicht gibt Ashley nicht auf.
    »Hallo, Joe«, sagt sie mit Schmollmund und hockt sich auf die Sofalehne. »Was machst du denn hier? Ich dachte, wir beide gehen demnächst mal zusammen shoppen.«
    Ich muss zugeben, dass sie wesentlich besser aussieht als in Schuluniform. Heute trägt sie Jeans, und das enge gelbe Oberteil betont Kurven, die normalerweise unter dem Schlips und dem grauen Pullover eher unförmig aussehen. Ich kann den Rand eines schwarzen Spitzen-BHs unter dem hellen T-Shirt sehen, was eine ziemlich attraktive Kombination ergibt.
    »Ach ja, tut mir leid, Ashley, da müssen wir noch was ausmachen. Aber meine Mum hat bald Geburtstag, da hab ich ihr versprochen, dass ich heute mit ihr einkaufen gehe.«
    Mädchen interpretieren solche Sachen völlig anders |123| als Jungs. Ashley streicht mir über den Arm und schnurrt: »Ach, das ist ja süß von dir.« Oder will sie mich verarschen?
    Ausgerechnet in diesem Augenblick tritt Mum in einem kurzen Rock und einem gewagten roten Top aus der Umkleide. »Na, wie findest du das, Ty?«, fragt sie erwartungsvoll.
    Mist. Warum muss sie mich ausgerechnet jetzt, wo Ashley neben mir sitzt, so anreden? Und was hat sie da eigentlich an? Sie zeigt viel zu viel Busen. Der Typ mit der Autozeitung fährt sich mit der Zunge über die Lippen.
    »Der Schnitt ist ein bisschen gewagt,
Mum «
, sage ich und lege mein ganzes Entsetzen in meinen Blick. »Die Farbe ist okay.« Hoffentlich kommt die Botschaft bei ihr an.
    Nein, anscheinend nicht. »Also mir gefällt’s. Warte mal, ich zeige dir noch die Jeans.«
    Ashley kriegt den Mund nicht mehr zu. »Das kann nicht deine Mum sein   … Die ist doch gar nicht alt genug.«
    Ich bin stolz darauf, eine Mum zu haben, die jung und hübsch ist, ehrlich. Aber gerade eben habe ich echt Schiss, dass sie alles vergisst, was unsere Verwandlungskünstlerin Maureen uns in Bezug auf ein unauffälliges Äußeres eingeschärft hat. »Das täuscht, sie ist viel älter, als sie aussieht«, sage ich.
    »Warum hat sie dich denn   … wie hat sie dich eben genannt?«
    »Sie ist Halbtürkin«, lüge ich. »Das heißt ›Sohn‹ auf Türkisch.« |124| Falls Ashley Türkisch kann, bin ich angeschmiert, aber das scheint zum Glück nicht der Fall zu sein.
    »Sprichst du denn auch Türkisch?«, fragt sie und ich beschwere mich lang und breit

Weitere Kostenlose Bücher