Mehr als nur ein Zeuge
über die schlimmen Betrüger, die einem im Gemüseladen zu wenig Wechselgeld rausgeben. Sie schaut ein bisschen verdutzt, scheint mir aber zu glauben.
Mum kommt wieder raus, diesmal in engen Hüftjeans und einem weißen Top. Es passt gut zu ihren dunklen Haaren, aber es ist mehr als aufreizend. Besser gesagt: Es ist durchsichtig. Ich merke ihr an, dass sie so glücklich ist wie seit Wochen nicht, was ja schön ist, aber hier und jetzt würde ich sie am liebsten in eine Ganzkörper-Burka stecken, wie Imrans Mum eine getragen hat, als wir noch in der Grundschule waren.
»Nicht schlecht, Mum«, sage ich nachdrücklich, »aber du siehst damit fast schon aus wie deine Freundin.«
»Welche Freundin?« Sie bewundert ihren Jeanshintern im Spiegel. »Stell dir vor, ich hab inzwischen Größe 36, ist das schlimm?«, fragte sie ein bisschen bang.
»Du siehst kein Stück dick aus«, sage ich bestimmt. Diese Zauberworte sind der Schlüssel beim Kleiderkauf mit Frauen. Wahrscheinlich sagt sie David Beckham ständig zu Posh. Als ich sie beruhigt habe, gehe ich zum Angriff über. »Du weißt doch, deine Freundin Nicki. Du
weißt
doch …
Nicki.
Du willst doch nicht wie sie aussehen. Warum suchst du nicht eher etwas aus, wie es deine Freundin Maureen trägt?«
»Maureen hat überhaupt keinen Geschmack«, antwortet |125| Mum. »
Nicki
dagegen wird mit Komplimenten nur so überhäuft.« Sie dreht, eine kleine Pirouette vor dem Spiegel.
»Tag, Mrs Andrews«, mischt sich Ashley ein. »Ich bin Ashley, aus Joes Klasse. Ich find die Jeans super, Sie sehen toll aus. Wo haben Sie die denn gefunden?«
Mum schlürft das Lob gierig auf und fängt an, sich mit Ashley über Jeansmarken zu unterhalten, und im nächsten Augenblick gehen sie zusammen in die Umkleidekabine. Als Ashley darin verschwindet, dreht sich Mum noch einmal nach mir um und schneidet mir eine Grimasse, mit Schielaugen und Zunge raus. Sie weiß meinen Rat eindeutig nicht zu schätzen. Und sie hat eindeutig keinen Schimmer, dass unsere Tarnung um ein Haar aufgeflogen wäre.
Topshop
wirkt bei ihr wie drei Bacardi-Cola hintereinander. Ich vergrabe mich in
Maxim
und hoffe das Beste.
Zwei Minuten später umzingeln mich zwei, drei, nein, vier von Ashleys Freundinnen. Der Typ mit der Autozeitung macht große Augen. Lauren und Emily klemmen sich aufs Sofa, Chloe lässt sich auf der Armlehne nieder, Becca pflanzt sich auf den Zeitschriftenstapel. »Wo ist denn Ashley?«, erkundigt sich Becca.
»In der Umkleide, sie probiert was an.«
»Heißt das, ihr beide seid …
zusammen
hier?«, will Lauren wissen. So, wie sie
zusammen
betont, klingt es, als wären Ashley und ich drauf und dran, im großen Schaufenster öffentlich zu knutschen, und sie wollte Eintrittskarten dafür verkaufen.
|126| »Nein, ich bin mit meiner Mum da. Sie leistet sich ein paar neue Klamotten, weil sie bald Geburtstag hat.«
»Aaah …!«, kommt es wie im Chor von den Mädchen.
»Du bist echt nett«, säuselt Emily.
»Meine Mum hätte bestimmt gern einen Sohn wie dich«, meint Dani. Mich davonzuschleichen und unter einem Kleiderständer zu verstecken, wie ich es noch vor sechs Jahren getan hätte, wäre eindeutig uncool, darum zucke ich bloß die Achseln und sage: »Halb so wild.«
Mum kommt mit einem gewaltigen Kleiderberg auf dem Arm wieder zum Vorschein. »Willst du die etwa
alle
kaufen?«, frage ich.
»Sind die Mädchen
alle
deine Freundinnen?«, lautet die Gegenfrage.
Auch Ashley kommt aus der Umkleide. »Joe ist eben sehr beliebt«, verkündet sie und versucht hinter Mums Rücken die Mädchen mit wildem Gefuchtel wegzuscheuchen, was die aber einfach ignorieren.
»Ach ja?« Mum ist sichtlich verwundert.
»Wir finden es supersüß, dass er mit Ihnen shoppen geht, Mrs Andrews«, sagt Emily.
Mum hat sich wieder gefangen. »Er ist wirklich ein Schatz. Und beliebt war er immer schon, stimmt’s? Andauernd sind die Mädchen um ihn rumgeschwirrt. Muss wohl an den großen grünen … äh, braunen Augen liegen. Ich geh nur das hier rasch bezahlen und dann zieh ich die Jeans vielleicht gleich an und wir können los und deine Turnschuhe kaufen.«
Ich hab geahnt, dass die Shoppingtour mit Mum die |127| Hölle wird, aber mir war nicht klar, dass ich ihr vorher komplett CIA-mäßig die Verhaltensregeln für unsichtbare Zeugen hätte erklären müssen. Erst das mit dem Namen, dann die Augenfarbe … vielleicht ist es doch besser, wenn sie unter Hausarrest steht.
»Wir sehen uns draußen.
Weitere Kostenlose Bücher