Mehr als nur ein Zeuge
DI Morris ein noch skeptischeres Gesicht macht und Mum wegen meiner Ausdrucksweise zusammenzuckt.
»Miss Lewis«, sagt Morris, »wenn ich Ihnen nun verspreche, dass Tyler nicht beschuldigt wird, eine Straftat in Zusammenhang mit dem Drogenhandel an der Schule begangen zu haben, können wir dann bitte allein mit ihm sprechen?«
Mum ist unschlüssig. »Die Staatsanwaltschaft entscheidet doch, wer angeklagt wird und wer nicht, oder?«
Als Morris ein bisschen verlegen aussieht, schlägt sie zu. »Wenn Sie also solche Versprechungen machen, ist ihnen offensichtlich bewusst, dass sie überhaupt nichts gegen meinen Sohn in der Hand haben. Ha! Sie dürfen sich fünf Minuten mit ihm unterhalten, aber ich frage ihn hinterher, was Sie gesagt haben, und wenn es dabei nicht absolut korrekt zugeht, gehe ich zum Anwalt und an die Presse und zu meinem Wahlkreisabgeordneten und vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, und dann fliegt ihnen die ganze Geschichte dermaßen um die Ohren, dass es nur so raucht.« Damit stapft sie in die Küche und sieht nach, was Doug dort treibt.
Ich bleibe mit DI Morris allein. Als ich den Mund aufmache und etwas sagen will, bringt er mich gleich mit erhobener Hand zum Schweigen. DC Bettany klappt sein Notizbuch zu. DI Morris sagt: »Tyler Lewis, hör mir mal gut zu. Oder soll ich dich lieber Joe nennen?«
|112| Ich zucke die Achseln, freue mich aber insgeheim, dass er sich bewusst ist, wie schwer es mir fällt, andauernd zwischen zwei Namen hin- und herzuspringen. »Egal.«
»Allmählich bekomme ich einen Eindruck von dir, Tyler, und dieser Eindruck sagt mir: Ja, der Junge sagt die Wahrheit, aber vielleicht noch nicht die ganze Wahrheit. Stimmt das so weit?«
Ich winde mich. Teilweise stimmt es, teilweise stimmt es nicht. Aber es kommt mir ein bisschen unfair vor, wo ich gerade vorhin den Namen Kenny Pritchard ausgespuckt habe.
»Also, äh, kommt drauf an, was … und wann … also was Sie unter der ganzen Wahrheit verstehen …«
Er wartet ab.
»Ich geb mir immer Mühe, bei der Wahrheit zu bleiben.«
»Aber du hältst dich an das absolute Minimum. Und manchmal tust du so, als seien deine Antworten spontan, auch wenn du dir eigentlich ganz genau überlegst, was du sagst und tust. Deshalb zweifle ich jetzt auch nicht daran, dass du ganz genau gewusst hast, was Arron damals in der Schule vorhatte.«
Also … gesagt hat er’s mir nie. Aber ich glaube … es könnte sein …«
»Und du hast gewusst, dass er in schlechte Gesellschaft geraten war.«
»Na ja, sozusagen …« Ist ja alles schön und gut, aber wenn man in so einem Viertel aufwächst wie Arron und ich, kann man es gar nicht vermeiden, zwielichtige Typen |113| kennenzulernen. Es kommt lediglich drauf an, wie viel Zeit man mit ihnen verbringt.
»Du musst mir die Wahrheit sagen, Ty, denn vor Gericht musst du ins Kreuzverhör, und glaub mir, drei gestandene Strafverteidiger sind kein Zuckerschlecken. Bist du derselben Meinung wie deine Mutter, dass es besser für euch ist, wenn ihr nach London zurückkehrt und du nicht aussagst?«
»Nein. Meine Mutter spinnt. Ich will Joe bleiben. Und aussagen will ich auch.«
»Warum?«
»Weil es einfach richtig ist. Ich … ich …«
»Gut. Wir reden noch mal mit deiner Mutter. Kannst du mir vorher noch irgendwas über Arrons Lieferservice erzählen? Belastet dich noch etwas anderes, wonach wir dich noch nicht gefragt haben?«
Ich nicke widerstrebend. »Der …« Ich hole meine Sporttasche und ziehe mein Ein und Alles heraus. Den iPod, den mir Arron zum Geburtstag geschenkt hat.
DI Morris nimmt ihn mir ab und dreht ihn hin und her. »Deiner?«, fragt er, und ich antworte: »Den hat mir Arron zum Geburtstag geschenkt, fertig bespielt mit Musik und alles. Ich hab mich gewundert … aber er hat gemeint, es ist ein alter von Nathan.«
Morris macht den iPod an und dreht die Scheibe, um sich die Playlists anzeigen zu lassen. Eine davon ist mir schon damals komisch vorgekommen – »Rachels Lieblingssongs« heißt sie, und ich kann mir nicht vorstellen, dass Nathan sich so einen Schrott wie Dido und Alanis |114| Morissette anhört. Andererseits ist auch jede Menge Rap und Hip-Hop auf dem iPod. »Glaubst du, das Gerät ist geklaut?«, fragt DI Morris.
»Keine Ahnung … vielleicht hatte Nathan ja eine Freundin oder so … aber sicher bin ich nicht.«
»Den nehm ich mit«, sagt DI Morris und schaut mich erstaunt an, als ich ihm den iPod wieder
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