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Mehr als nur ein Zeuge

Mehr als nur ein Zeuge

Titel: Mehr als nur ein Zeuge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Keren David
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verpasse ihm einen Rippenstoß. »Red keinen Scheiß. Guck mal, wer jetzt dran ist.« Wir drehen uns um und glotzen die Mädchen aus der Achten an, die sich gerade aufgestellt haben. Einige von ihnen sehen echt gut aus in ihren Laufshorts.
    Wie Ellie wohl zumute ist, wenn sie so ein Rennen sieht? Fühlt sie sich mies, weil sie einen Rollstuhl zum Wettkampf braucht? Bestimmt. Sie ist so unglaublich   … so positiv   … dass man leicht vergisst, wie schwer ihr Leben sein muss. Sie ist ständig von anderen Leuten abhängig. Mich würde das fertigmachen.
    Was ist schlimmer   – das hundertprozentig Beste aus einem Leben machen, das körperlich dermaßen eingeschränkt ist, oder sich damit abfinden zu müssen, dass das eigene Leben immer von Angst, Lügen und Unsicherheit bestimmt sein wird? Ich glaube, ich würde es immer |138| noch vorziehen, ich zu sein, Ty oder Joe oder sonst wer, als im Rollstuhl sitzen zu müssen.
    Dann fällt mir ein, dass ich, falls mich die Typen, die gern Zeugen einschüchtern, in die Finger kriegen, noch froh sein kann, wenn ich nur im Rollstuhl ende.
     
    Mein 150 0-Meter -Lauf ist erst in einer Stunde. Ich muss vorher was essen. Ich mache mich auf die Suche nach Mum, damit sie mir Geld gibt, aber sie ist verschwunden. Nur Claire sitzt immer noch da und liest.
    »Äh   … Claire, hast du gesehen, wo meine Mutter hin ist?«
    »Nein«, antwortet sie, ohne aufzublicken.
    »Hat sie gesagt, ob sie wieder herkommt?«
    »Nein.«
    »Ähm   … vorhin war sie ja hier. Ich warte einfach auf sie.« Ich denke bloß laut, aber Claire schlägt ihr Buch zu, sagt ziemlich pampig: »Wie du willst«, steht auf und geht weg.
    Hä?
    Ich renne ihr nach. »Hör mal, ich wollte dich nicht ärgern oder so was   … Was hab ich dir denn getan?«
    Sie läuft rot an und sieht aus, als wollte sie in Tränen ausbrechen, was aber schlecht zu erkennen ist, weil ihr die mausfarbenen Haare ins Gesicht fallen. Was für ein Freak. Sie braucht dringend eine Typberatung.
    »Nichts«, sagt sie. »Lass mich einfach allein, bitte. Deine Mum ist da drüben, siehst du sie?« Sie zeigt auf einen Tisch, an dem Getränke verkauft werden, und als |139| ich mich wieder zu Claire umdrehe, stapft sie schon davon.
    Was ist denn mit der los? Natürlich könnte ich sie einholen, aber wozu? Trotzdem komisch. Die meisten Mädchen auf dieser Schule würden jede Gelegenheit nutzen, um mit mir zu reden. Ich weiß, das klingt jetzt total angeberisch, aber es stimmt.
    Ich gehe zu Mum, leiere erfolgreich einen Fünfer los und kaufe mir ein Sandwich und eine Limo. Max, Jamie und ich essen, gammeln auf dem Rasen herum und bewerten die Mädchen aus der Elften in Bezug auf ihr Aussehen und daraufhin, ob sie sich wohl auch mit Jüngeren verabreden würden. Mum macht in der Gesellschaft von Ellies Eltern einen ganz zufriedenen Eindruck. Die stehen bei irgendwelchen Freunden, und Mum sieht okay aus, obwohl alle ungefähr zwanzig Jahre älter sind als sie.
     
    1500   Meter. Na gut. Auf zur Blamage! Als wir uns am Start aufstellen, geht ein Raunen durch die Zuschauer. Vielleicht bilde ich es mir nur ein, aber manche zeigen auf mich, und ich höre hier und da meinen Namen   … Ich schüttele den Kopf. Ich leide wohl schon unter Verfolgungswahn. Ich mustere die anderen Läufer. Sie sind alle aus der Zehnten. Klar, eigentlich bin ich nur ein Jahr jünger, nicht zwei, aber trotzdem   …
    Peng! Wir flitzen los. Ich gehe es langsam und gleichmäßig an, versuche, mir nichts draus zu machen, dass ich ins hintere Feld abrutsche, versuche, dran zu glauben, |140| dass ich nach vorn kommen kann, wenn ich nur will. Ich konzentriere mich ganz auf meine Schritte und meinen Atem. Ich denke nicht mehr an die Zuschauer, ich denke an gar nichts mehr. Die Angst verfliegt restlos.
    Und dann, ganz allmählich, aber stetig, werde ich schneller und schneller, ziehe mehr Luft ein, mache längere Schritte. Es dauert nicht lang und ich bin vorn in der Führungsgruppe. In meinen Lungen sticht es. Ich laufe wie der Wind und jetzt halte ich mich nicht mehr zurück   … lauf weiter, noch mehr Druck   … Ja! Ich erreiche das Ziel einen Sekundenbruchteil vor dem Typen, der die ganze Zeit geführt hat. Ich höre Jamie und Max schreien und jubeln. Ich schlucke, keuche, ringe nach Luft   … und innerlich platze ich vor Freude, weil ich bewiesen habe, dass ich tatsächlich gut bin. Ich kann’s! Ich habe gewonnen!
    Ganz Parkview klopft mir auf die Schultern, alle sagen mir,

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