Mehr als nur Traeume
denken konnte.
Nachdem sie ihn verlassen hatte, hatte er nicht mehr geschlafen, weil er wußte, daß sie weinte. Die Tränen einer Frau hatten ihn bisher immer kaltgelassen. Frauen weinten immer. Sie weinten, wenn man sie verließ, wenn man nicht tat, was sie von einem wollten, und wenn man ihnen sagte, daß man sie nicht liebte. Er mochte Frauen wie Arabella und Lettice, die niemals weinten.
Doch die letzte Nacht hatte diese Frau fast die ganze Nacht geweint, und obwohl er sie weder hören noch sehen konnte, hatte er ihre Tränen gespürt. Dreimal wäre er beinahe zu ihr gegangen, hatte sich dann aber doch beherrschen können. Sie sollte nicht wissen, daß sie Macht über ihn besaß.
Was ihre Geschichte von der Vergangenheit und der Zukunft anlangte, hielt er sie für eine Erfindung. Aber etwas an ihr war merkwürdig. Daß sie eine Prinzessin von Lanconia sei, glaubte er nicht - und seiner Meinung nach glaubte das seine Mutter ebensowenig. Aber Lady Margaret mochte ihre seltsamen Lieder und ihre ungewöhnliche Sprechweise. Diese Dougless benahm sich so, als wäre alles neu für sie — das Essen, die Kleider, die Dienerschaft.
». . . wirst du es mir mitteilen, nicht wahr?«
Nicholas starrte sie an. Er hatte keine Ahnung, was sie gerade gesagt hatte. Aber plötzlich wurde er von einem derart mächtigen Verlangen nach dieser Frau überwältigt, daß er bis an die Tür zurückwich. »Ihr werdet mich nicht verhexen können wie meine Familie«; sagte er, als müßte er sich an seinen eigenen Worten festklammem, um nicht schwach zu werden.
Dougless sah das Begehren in seinen Augen, sah, wie er die Lider halb über die Augen senkte. Ihr Herz begann laut zu klopfen. Wenn du dich von ihm anfassen läßt, wirst du ins zwanzigste Jahrhundert zurückversetzt, sagte sie sich. Und du mußt so lange hierbleiben, bis Kits Leben nicht mehr gefährdet ist und du Lettice und ihre arglistigen Pläne bloßgestellt hast.
»Nicholas, ich will dich nicht verhexen, und wenn ich etwas in diesem Haus tue, ist das notwendig für das Überleben deiner Familie.« Sie streckte den Arm nach ihm aus. »Wenn du doch nur auf mich hören wolltest...«
»Eure Geschichten von der Vergangenheit und Zukunft?« Er lachte höhnisch und brachte sein Gesicht ganz nahe an ihres heran: »Seid auf der Hut, Weib, denn ich werde Euch ständig im Auge behalten. Wenn ich erfahre, daß Ihr keinen Onkel habt, der König ist, werde ich Euch eigenhändig aus diesem Haus werfen. Geht jetzt und versucht nicht mehr, mir nachzuspionieren.« Er drehte sich um und stürmte aus dem Zimmer.
Dougless blickte ihm nach, fühlte sich hilflos und verlassen. Und in ihrer Not begann sie zu beten: »Lieber Gott, zeige mir einen Weg, wie ich Nicholas helfen kann. Laß es nicht zu, daß ich zum zweitenmal versage!«
15
Am nächsten Morgen sah Dougless Arabella vor dem Haus mit Hilfe eines Holzstockes in den Sattel ihres wunderschönen Rappenhengstes steigen. Der Mann, den sie bei Arabella stehen sah, mußte wohl ihr Gatte, Robert Sydney, sein, und Dougless wollte sich diesen Mann genauer anschauen, sich sein Gesicht einprägen, den Nicholas als »Herzensfreund« betrachtete und der ihn, seinen »Freund«, aufs Schafott geschickt hatte.
Sydney drehte sich in diesem Moment um, und Dougless hielt den Atem an. Robert Sydney sah Dr. Robert Whitley -dem Mann, den sie einmal heiraten wollte - unheimlich ähnlich!
Dougless wandte sich mit zitternden Händen ab. Purer Zufall, sagte sie sich. Nichts als ein Zufall. Doch später am Tag fiel ihr wieder ein, daß Nicholas im zwanzigsten Jahrhundert, als er Robert dort zum erstenmal sah, ein Gesicht machte, als würde er ein Gespenst erblicken. Und Robert hatte Nicholas mit haßerfüllten Augen angesehen.
Zufall, sagte sie sich abermals. Es konnte nichts anderes sein als ein Zufall.
In den folgenden zwei Tagen bekam Dougless Nicholas nur selten zu Gesicht. Wenn sie ihn sah, stand er unter einer Tür und blickte sie genauso finster an wie an der Mittagstafel.
Dougless war eine sehr beschäftigte Frau. Inzwischen betrachtete man sie gewissermaßen als Fernsehstudio, Kino und Konzerthalle in einer Person. Man wollte von ihr immer neue Spiele, Lieder und Geschichten haben; die Unterhaltungssucht im Haus war unersättlich. Dougless konnte keinen Schritt in den Garten hinaus machen, ohne von jemandem angesprochen zu werden, der bei ihr Zerstreuung suchte. Sie verbrachte viele Stunden damit, sich auf alles zu besinnen, was sie in ihrem Leben
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