Mehr als nur Traeume
gewonnen, daß die Leute damals nur über Politik geredet hatten. Trotz Fernsehen, Radio und Nachrichtenmagazinen schienen die Amerikaner am Ende des zwanzigsten Jahrhundert nur halb so gut informiert zu sein wie die Romanfiguren aus der elizabethanischen Zeit. Aber nun entdeckte sie, daß diese Menschen hier wie jeder Durchschnittsamerikaner mehr an Mode und Tratsch und an einem reibungslosen Funktionieren dieses riesigen und komplizierten Haushalts interessiert waren als an dem politischen Wirken ihrer Königin.
Schließlich beschloß Dougless nur das zu tun, was ihr möglich war. Sie glaubte nicht, daß es ihre Aufgabe sei, die Lebensweise und Anschauungen des sechzehnten Jahrhunderts zu verändern. Sie war in die Vergangenheit zurückgeschickt worden, um Nicholas zu retten, und darauf wollte sie sich konzentrieren. Sie war eine Beobachterin, keine Missionarin.
Es gab jedoch einen Aspekt mittelalterlichen Lebens, mit dem Dougless sich nicht abfinden konnte, und das war der Mangel an Badehygiene. Die Leute wuschen sich zwar das Gesicht, die Hände und Füße, aber ein Vollbad war ein überaus seltenes Ereignis. Honoria warnte sie sogar ihres häufigen Badens wegen (drei Bäder in der Woche); und Dougless war es gar nicht recht, daß Dienstboten dreimal wöchentlich ihretwegen einen Zuber in das Zimmer tragen und anschließend viele Eimer heißen Wassers schleppen mußten. Der Aufwand, um ein heißes Bad zuzubereiten, war so groß, daß jedesmal noch zwei Leute das Wasser benützten, wenn Dougless gebadet hatte. Einmal war Dougless sogar erst der dritte Badegast, und da schwammen Heerscharen von Läusen auf der Wasseroberfläche.
Das Baden wurde bei ihr fast zu einem Tick, bis Honoria ihr einen Springbrunnen im Ziergarten - dem sogenannten »Knot Garden« - zeigte. Die »Knots« waren Hecken, die nach einem komplizierten Muster angepflanzt waren, und in den Schlingen dieser »Knoten« wuchsen bunte Blumen. Im Zentrum dieser vier »Knoten« befand sich ein steinerner Brunnen in einem kleinen Bassin. Honoria winkte ein Kind zu sich heran, das im Ziergarten Unkraut zupfte, und dieses rannte dann hinter eine Mauer. Zu Dougless’ Entzücken versprühte der Brunnen kurz darauf eine Wasserfontäne. Honoria hatte das Kind fortgeschickt, damit es das Rad der Wasserzufuhr bedienen sollte.
»Wie herrlich«, hatte Dougless gerufen. »Wie ein Wasserfall oder eine . . .«Ihre Augen leuchteten auf. »Wie eine Dusche!« In diesem Moment begann ein Plan in ihr zu reifen, und sie verabredete sich insgeheim mit dem Kind für den nächsten Morgen um vier Uhr an der gleichen Stelle. Sie wollte ihm einen Penny bezahlen, wenn es das Wasserrad für sie aufdrehte.
Kurz vor vier Uhr morgens verließ Dougless, mit ihrem Shampoo und ihrem Duschgel bewaffnet, auf Zehenspitzen Honorias Zimmer und begab sich hinunter in den Ziergarten. Das Kind nahm, mit schlaftrunkenen Augen lächelnd, den Penny entgegen (den Dougless von Honoria bekommen hatte) und ging hinter die Mauer, um die Wasserleitung aufzudrehen. Dougless blieb eine Weile unschlüssig stehen, ob sie alle Kleider ausziehen sollte oder nicht; aber es war noch ziemlich dunkel, und es würde noch eine Weile dauern, ehe die Bediensteten im Haus aufstanden. Sie legte ihre geborgte Robe ab, schlüpfte aus ihrem Leinenhemd und trat unter die Wasserfontaine.
Noch nie hat wohl jemand in der Menschheitsgeschichte ein Duschbad so genossen wie sie. Dougless hatte das Gefühl, als würden der Schmutz, das Öl und der Schweiß von Jahren aus ihren Poren gespült. Sie war sich nach ihren Sitzbädern im Holzzuber nie recht sauber vorgekommen, und nachdem sie seit Wochen nicht mehr geduscht hatte, hatte sie das Empfinden, als würde sie geradezu starren vor Schmutz.
Sie wusch sich die Haare dreimal mit Shampoo, rasierte sich die Beine und unter den Achseln und spülte dann nach. Himmlisch! Absolut himmlisch!
Endlich stieg sie wieder aus dem Becken, ließ einen leisen Pfiff hören zum Zeichen, daß der Knabe das Rad wieder zudrehen könne, trocknete sich ab und wickelte sich in ihre Robe ein.
Selig lächelnd, lief sie den Pfad zum Haus zurück. Vielleicht konnte sie nicht richtig sehen, weil sie noch Seife im Auge hatte oder weil es einfach noch zu dunkel war - jedenfalls lief sie in jemanden hinein.
»Gloria!« rief sie erschrocken und erkannte dann, daß es die französische Erbtochter war. »Ich dachte«, sagte sie verdattert, »daß du Gloria heißen könntest, aber das ist vermutlich gar
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