Mehr als nur Traeume
der Richtblock erwartete, wollte er in seine Zeit zurückkehren, um die Ehre seiner Familie zu retten.
Sie lächelte. Das war ihr Nicholas - der Mann, den sie schätzen- und liebengelernt hatte. Zunächst hatte es ja wirklich den Anschein gehabt, als sei er nur ein leichtsinniger Schürzenjäger, wie es in ihren Geschichtsbüchern stand. Und natürlich war sie schrecklich enttäuscht gewesen, daß er sie mit seinem Zorn verfolgt und feindselig behandelt hatte. Alle anderen Mitglieder der Familie hätten nicht netter zu ihr sein können - nur Nicholas bildete eine Ausnahme.
Aber wenn sie nun tatsächlich in böswilliger Absicht die Nähe seiner Familie suchte? Ein so blindes Vertrauen, wie es seine Mutter und sein älterer Bruder zu ihr hatten, war nicht gut. Nicholas zeigte als einziger von der Familie ein richtiges Verhalten. Er mußte ihr mißtrauen. Da er sich nicht daran erinnern konnte, sie schon einmal gesehen zu haben, hatte er auch keine Veranlassung, ihren Worten zu glauben. Und was dieses »Band« zwischen ihnen betraf - daß er sie manchmal nach ihm »rufen« hörte - meinte er, ganz den Anschauungen seiner Zeit verhaftet, sie für eine Hexe halten zu müssen.
Doch dann diese Erinnerung. Er, der ein Gedächtnis an seinen Besuch in der modernen Welt leugnete, hatte auf einmal den Taschenrechner richtig bedienen können. Sie fragte sich, ob sie nicht noch andere Erinnerungen in ihm wecken könne, und dachte an die Gegenstände in ihrer Reisetasche. Was konnte sie ihm noch zeigen, das geeignet war, sein Gedächtnis anzuregen?
Im Audienzsaal eilten die Damen aufgeregt hin und her. Offenbar war die Sendung des »Hoflieferanten« eingetroffen. Das war ein Mann, hatte man Dougless erzählt, der ganz England bereiste, Delikatessen für die Staffords beschaffte und sie einmal im Monat der Familie zustellte. Diesmal hatte er ein Fuhrwerk mit Pampelmusen, Schokolade, die aus Mexiko über Spanien nach England gekommen war, und Zucker aus Brasilien in die Burg geschickt.
Dougless beobachtete von der Tür aus, wie die Ladies sich entzückt über diese »Kostbarkeiten« äußerten. Und ein wenig beschämt dachte sie daran, daß es für einen Amerikaner des zwanzigsten Jahrhunderts eine Selbstverständlichkeit war, wenn er das ganze Jahr hindurch Früchte und Nahrungsmittel aus aller Welt im Supermarkt kaufen konnte.
Als sie das sorgsam in Tüchern eingeschlagene Schokoladenpulver sah, fiel ihr wieder das Picknick ein, das sie damals für Nicholas zubereitet hatte; gebratenes Hähnchen, Kartoffelsalat und Schokoladentörtchen.
Da kam ihr plötzlich eine Idee. Hatte sie nicht irgendwo gelesen, daß» das Gedächtnis durch Geruch und Geschmack besonders stark angeregt wurde? Sie wußte aus eigener Erfahrung, daß gewisse Gerichte sie stets an ihre Großmutter Amanda erinnerten, denn die Küche ihrer Großmutter hatte sich durch eine erstaunliche Vielfalt ausgezeichnet. Und der Duft von Jasmin erinnerte sie stets an ihre Mutter. Wenn sie Nicholas die gleichen Gerichte vorsetzte wie damals beim Picknick im zwanzigsten Jahrhundert, würde er sich dann vielleicht eher an ihre gemeinsame Zeit erinnern?
Dougless ging zu Lady Margaret und bat sie um die Erlaubnis, das Abendessen zubereiten zu dürfen. Lady Margaret gefiel dieser Vorschlag, sie war jedoch entsetzt darüber, daß Dougless selbst das Kochen übernehmen wollte. Sie schlug vor, daß sie dem Meister der Vorratskammern sagen sollte, was sie benötigte, und dann dem Meister der Küchen (der für den Mund zuständigen), was er damit zu machen habe. Sie sollte sich nicht persönlich in die Küche begeben.
Doch Dougless bemühte sich nach Kräften, ihren Wunsch durchzusetzen, zumal Lady Margaret ihre Neugierde geweckt hatte. Wie sah ein Küchenmeister aus, der für den Mund zuständig war?
Nach einem langen, verschwenderischen Dinner begab sich Dougless hinunter in die Küchenräume und war zutiefst beeindruckt von dem, was sie dort sah: Da gab es eine wahre Flucht von Küchenräumen, die mit mächtigen Herden, riesigen Tischen und einer Menge Personal ausgestattet war. Jede Person hatte eine bestimmte Aufgabe zu verrichten: Da waren zwei Schlachtermeister, zwei Bäckermeister, zwei Braumeister, ein Mälzer, etliche Hopfenmeister, Wäschemeisterinnen, Kinder als Hilfsarbeiter und sogar ein Mann, der sich als Rohrputzer bezeichnete, weil er die Löcher in den Wänden verputzen mußte, sobald ein Stück Gips herunterfiel. Und da waren noch Bedienstete, die jeden
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