Mehr als nur Traeume
flüsterte sie, »verschließe deinen Geist nicht vor mir. Wehre dich nicht gegen mich. Dir könnte noch mehr einfallen, wenn du nur deinen Geist öffnen wolltest.«
»Ich erinnere mich an gar nichts«, sagte er fest und sah in ihre Augen. Er hätte so gern ihre Haare aus ihrer kleinen Kappe geholt und ihre Zöpfe aufgewickelt.
»Du erinnerst dich. Wie könntest du sonst wissen, wie man einen Taschenrechner benützt?«
»Ich habe ihn nicht...«, begann er und blickte zu dem Ding hinüber, das auf den Papieren mit den Zahlenkolonnen lag. Er hatte gewußt, wie er funktioniert, hatte gewußt, wie man mit ihm Zahlen zusammenzählen konnte. Er befreite seinen Arm mit einem Ruck aus ihren Händen. »Geht jetzt!«
»Nicholas, bitte, höre mich an«, flehte sie. »Du mußt mir sagen, ob Kit dir bereits das Versteck in der Wand in Bellwoods gezeigt hat oder nicht. Dann haben wir eine Vorstellung, wie lange es noch dauern wird, bis . . . bis er ertrinkt.« Bis Lettice den Befehl gibt, ihn umzubringen, dachte sie bei sich. »Es könnten noch Wochen oder sogar Monate vergehen, bis dieses verhängnisvolle Ereignis eintritt, aber wenn er dir das Geheimfach bereits gezeigt hat, können wir nur noch mit Tagen rechnen. Du mußt mir das ehrlich sagen, Nicholas, bitte - hat er oder hat er nicht?«
Er wehrte sich dagegen, daß diese Frau ihn am Gängelband führte. Er würde ihr nicht wie alle anderen im Haus nachlaufen und sie um ein Lied oder eine Geschichte bitten. Er wartete ja nur darauf, daß sie auch noch Geld dafür verlangte. Aber seine Mutter hatte einen solchen Narren an dieser Frau gefressen, daß sie diese Hexe auch noch mit Gold aufwiegen würde. Schon jetzt überhäufte Lady Margaret sie mit Kleidern und Fächern und öffnete die Schatztruhen der Staffords, um ihr kostbares Geschmeide zu leihen.
»Ich weiß von keinem Geheimfach«, log er. Es war erst wenige Tage her, daß Kit ihm dieses Wandversteck gezeigt hatte.
Dougless sank auf ihre Fersen zurück, so daß sich der grüne Satinrock glockig bauschte, und seufzte erleichtert. »Das ist gut«, flüsterte sie. »Sehr gut.« Es wäre für sie ein schrecklicher Gedanke gewesen, daß Kits Tod unmittelbar bevorstand. Aber sollte Kit sein ursprüngliches Schicksal nicht erleiden und am Leben bleiben, hatte vielleicht auch Lettice keine Chance mehr, Nicholas ihren ehrgeizigen Plänen zu opfern, und das Unrecht, das den Staffords angetan wurde, konnte so verhindert werden. Und wenn Kit nicht starb, würde sie wohl auch wieder ins zwanzigste Jahrhundert zurückgeschickt werden.
»Ihr habt eine Schwäche für meinen Bruder?« sagte Nicholas, auf Dougless hinunterblickend.
Sie lächelte. »Ich finde ihn sympathisch, aber er wird niemals ...«, ihre Stimme verebbte, ».. . die Liebe meines Lebens sein« hätte sie beinahe gesagt. Sie blickte in Nicholas’ blaue Augen, und da wurde in ihr wieder die Erinnerung an ihre Liebesnacht lebendig. Sie hatte sein Lachen im Ohr, und ihr fiel sein großes Interesse für ihre moderne Welt wieder ein. Unwillkürlich streckte sie die Hand nach ihm aus, und er nahm sie und führte ihre Fingerspitzen an seine Lippen.
»Colin«, flüsterte sie.
»Sir«, kam eine Stimme von der Tür her, »ich bitte um Entschuldigung .. .«
Nicholas ließ ihre Hand fallen, und der Bann war gebrochen. Dougless erhob sich von den Knien und strich ihre Röcke glatt. »Du wirst mir doch sagen, wenn Kit dir das Geheimfach zeigt, nicht wahr? Wir müssen über Kits Leben wachen.«
Nicholas blickte sie nicht an. Diese Frau redet nur von meinem Bruder, dachte er bei sich. Sie wollte ihm nicht aus dem Kopf gehen; aber sie fühlte sich zu seinem Bruder hingezogen.
»Geht«, murmelte er, »geht, und stimmt Eure Sirenengesänge woanders an. Mich werdet ihr nicht so leicht mit euren Liedern verzaubern. Und nehmt das da mit.« Er blickte den Taschenrechner an, als wäre er eine Erfindung des Teufels.
»Du kannst ihn gern behalten.«
»Was soll ich damit?« Er blickte sie mit harten Augen an. »Ich weiß doch nicht, wie dieses Kästchen funktioniert.«
Da nahm Dougless seufzend den Rechner wieder an sich und verließ das Zimmer. Auch dieser Versuch, mit Nicholas ins Gespräch zu kommen, war gescheitert. Allerdings mußte sie ihm zugute halten, daß er meinte, er müsse seine Familie vor ihr schützen. Und da fiel ihr ein, daß dem Mann, der aus dem sechzehnten Jahrhundert zu ihr gekommen war, ebenfalls das Wohl und Wehe seiner Familie über alles ging. Obwohl ihn
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