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Mehr als nur Traeume

Titel: Mehr als nur Traeume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jude Deveraux
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Essen wurde ihnen serviert, und Nicholas reichte Dougless einen Becher voll starkem Wein, den sie mit zitternden Händen entgegennahm. Nachdem sie einen Schluck davon getrunken hatte, sagte er: »Unsere Welt ist nicht mit deiner zu vergleichen.«
    In den letzten Tagen hatte er sich bei ihr über alle Aspekte eines modernen Gemeinwesens erkundigt und sie auch gefragt, wie eine Stadtreinigung und ein Kanalsystem funktionierte und welche sanitären Einrichtungen es in ihren Städten gab.
    »Nein«, erwiderte sie und versuchte die Erinnerung daran, wie die Stadt ausgesehen und gerochen hatte, aus ihrem Bewußtsein zu verdrängen. Amerika hatte viele Obdachlose, aber sie hausten in nicht annähernd so schlimmen Verhältnissen wie die Bewohner dieser Stadt. Natürlich hatte sie auch ein paar gutgekleidete Leute auf den Straßen gesehen, aber die wogen den schrecklichen Gestank in den Gassen nicht auf. »Nein, eine moderne Kommune ist etwas ganz anderes.«
    Er streckte sich neben ihr aus, während sie auf dem Tuch saß und den Becher mit Wein leerte. »Möchtest du in meiner Zeit bleiben?«
    Sie blickte ihn an, und zwischen ihnen stand das Bild der Stadt, die sie eben besichtigt hatte. Wenn sie bei Nicholas blieb, würde diese Stadt Bestandteil ihres Lebens sein. Jedesmal, wenn sie die Geborgenheit und Ruhe, die sie im Haus der Staffords genoß, verließ, würde sie aufgespießte verfaulende Köpfe sehen und Straßen und Wege, die mit Fäkalien überschwemmt waren.
    »Ja«, sagte sie, ihm in die Augen blickend. »Ich würde bleiben, wenn ich könnte.«
    Er hob ihre Hand an die Lippen und küßte sie.
    »Aber ich würde dafür sorgen, daß die Hebammen sich die Hände waschen.«
    »Hebammen? Ah, dann hast du also vor, meine Kinder zu bekommen?«
    Der Gedanke, ein Kind in die Welt zu setzen ohne einen richtigen Arzt und ohne Krankenhaus, erschreckte sie, aber das sagte sie ihm nicht. »Mindestens ein Dutzend«, antwortete sie.
    Ihr Ärmel war zu fest verschnürt, als daß man ihn hätte in die Höhe schieben können; aber sie spürte seine heißen Lippen durch den Stoff hindurch. »Wann sollen wir damit anfangen, sie herzustellen? Ich würde gern noch mehr Kinder haben wollen.«
    Ihre Augen waren geschlossen, ihr Kopf lag im Nacken. »Mehr?« Plötzlich tauchte etwas, das Nicholas gesagt hatte, wieder in ihrer Erinnerung auf. Ein Sohn. Er hatte gesagt, er habe keine Kinder, aber er hätte einen Sohn gehabt.
    Wie hatte er sich damals ausgedrückt?
    Sie entzog ihm ihren Arm. »Nicholas, hast du einen Sohn?«
    »Ja, einen kleinen Jungen. Aber du brauchst dich deswegen nicht zu beunruhigen. Ich habe die Mutter schon vor langer Zeit weggeschickt.«
    Sie suchte sich zu konzentrieren. Einen Sohn. Was hatte Nicholas damals gesagt?
    Ich hatte einen Sohn; aber er ist eine Woche nach dem Tod meines Bruders bei einem Sturz umgekommen.
    »Wir müssen umkehren«, sagte sie.
    »Aber zuerst werden wir noch essen.«
    »Nein.« Sie stand auf. »Wir werden sofort nach deinem Sohn sehen müssen. Du sagtest damals zu mir, er sei eine Woche nach dem Tod deines Bruders bei einem Sturz ums Leben gekommen. Diese Woche ist morgen zu Ende. Wir müssen sofort zu ihm.«
    Nicholas zögerte nicht einen Moment. Er ließ einen Mann zurück, der die Speisen und Teller wieder einpacken sollte, und die anderen sieben Ritter galoppierten mit Dougless zurück zum Haus der Staffords. Sie sprangen am vorderen Tor von den Pferden, und Dougless hob ihre Röcke an und folgte Nicholas, der vor ihr die Treppe in den zweiten Stock hinauflief, wo sie noch nie gewesen war.
    Dort warf er eine Tür auf, und was Dougless nun im Raum sah, der sich vor ihr öffnete, war schlimmer als alles, was sie bisher im sechzehnten Jahrhundert an Eindrücken gesammelt hatte. Ein kleiner Junge, kaum über ein Jahr alt, war vom Hals bis zu den Füßen fest in Leinwandstreifen eingewickelt — und hing an einem Haken an der Wand. Arme und Beine waren ihm von der Leinwand an den Leib gefesselt, wie bei einer Mumie. Die untere Hälfte dieser Wickelpackung war schmutzig von dem Kot und dem Urin des Kleinen. Offenbar war das Leinen dort nie gewechselt worden, und unter dem Kleinen stand ein hölzerner Eimer auf dem Boden, der das, was der Stoff nicht mehr zurückhalten konnte, auffangen sollte.
    Dougless war zunächst wie gelähmt von dem Anblick dieses Kindes, dessen Augen halb offen oder halb geschlossen waren.
    »Dem Kind fehlt nichts«, sagte Nicholas. »Es ist ihm kein Leid

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