Mehr als nur Traeume
erkennen - nicht vergilbt wie eine moderne Tinte, die schon nach ein, zwei Jahren verblaßt. Aber so begierig Dougless die Papiere in die Hand genommen hatte, so mutlos wurde sie, als sie den Text lesen wollte. Er war in der gleichen Schrift verfaßt wie das Billett, das Nicholas unter ihre Tür im Hotel geschoben hatte, und sie vermochte auch nicht ein Wort zu entziffern. Sie beugte sich über die Papiere und versuchte wenigstens hier und dort den Sinn eines Wortes zu erraten, als die Tür aufflog.
»Aha!« sagte Nicholas, sein Schwert in der Hand, und stürmte ins Zimmer.
Nachdem Dougless sich von dem Schrecken erholt hatte, lächelte sie ihn an. »Ist Arabella fertig mit Ihnen?«
Nicholas blickte zwischen dem auf dem Bett schlafenden Lee und Dougless, die sich über die jüngst entdeckten Papiere beugte, hin und her und machte plötzlich ein verlegenes Gesicht. »Sie ist zu Bett gegangen«, sagte er.
»Allein?«
Nicholas ging zu dem Tisch neben dem Kamin und nahm einen von den Briefen in die Hand. »Die Schrift meiner Mutter«, sagte er.
Bei dem Ton seiner Stimme vergaß Dougless ihre Eifersucht. »Ich kann sie nicht lesen.«
»Oh?« erwiderte er, eine Braue in die Höhe ziehend. »Ich könnte Euch vielleicht abends das Lesen beibringen. Ich glaube, Ihr könntet es lernen.«
Dougless lachte. »Okay, dieser Punkt geht an Sie. Und jetzt setzen Sie sich hin und lesen.«
»Und er?« Nicholas deutete mit seinem Schwert auf den schlafenden Lee.
»Der wacht vor morgen früh nicht auf.«
Nicholas legte sein Schwert quer über den Tisch und begann den ersten Brief zu lesen. Da Dougless ihm dabei keine Hilfe sein konnte, setzte sie sich still auf einen Stuhl und beobachtete ihn. Warum packte ihn jedesmal die Eifersucht, sobald ein anderer Mann sie anschaute, wenn er doch so sehr in seine Frau verliebt war? Und warum dann dieses Herumtändeln mit Arabella?
»Nicholas?« sagte sie leise. »Haben Sie sich schon einmal überlegt, was passieren würde, wenn Sie nicht mehr in Ihre Zeit zurückkehrten?«
»Nein«, antwortete er, einen Brief überfliegend. »Ich muß zurückkehren.«
»Aber was ist, falls nicht? Was ist, wenn Sie für immer hierblieben?«
»Ich bin hierhergeschickt worden, um Antworten zu finden. Meiner Familie ist genauso Unrecht geschehen wie mir.
Ich bin hierhergesandt worden, um dieses Unrecht zu korrigieren.«
Dougless spielte mit dem Griff seines Schwertes, rollte es hin und her, daß sich das Licht der Nachttischlampe in den Edelsteinen brach, mit dem Griff und Scheide verziert waren. »Aber was ist, wenn sie aus einem anderen Grund hierhergeschickt wurden? Einen Grund, der nichts mit Ihrer Verurteilung wegen Hochverrats zu tun hat?«
»Und was wäre das für ein Grund?«
»Ich weiß nicht«, erwiderte sie, aber sie dachte: aus Liebe.
Er blickte sie an. »Wegen dieser Liebe, von der Ihr immer redet?« fragte er, als hätte er ihre Gedanken gelesen. »Vielleicht denkt Gott wie eine Frau und erachtet Liebe wichtiger als Ehre.«
Er machte sich über sie lustig.
»Zu Ihrer Information - es gibt viele Völker, die glauben, daß Gott eine Frau ist.«
Nicholas streifte sie mit einem Blick, der ihr bedeutete, daß er diese Vorstellung absolut lächerlich fand.
»Nein, ernsthaft«, sagte Dougless. »Was ist, wenn Sie nicht zurückkehren in Ihre Zeit? Was ist, wenn Sie hier finden, was Sie wissen müssen, und dennoch hierbleiben? So für ein Jahr oder zwei?«
»Ich will nicht hierbleiben«, sagte Nicholas, blickte aber zu Dougless hoch. Vierhundert Jahre hatten Arabella nicht verändert. Sie war immer noch die gleiche. Sie wollte wie damals einen Mann nach dem anderen in ihrem Bett haben, besaß noch immer ein Herz aus Stein. Aber dieses Mädchen, das ihn zum Lachen brachte, das ihm half, das ihn mit großen Augen ansah, in denen sich alle ihre Empfindungen widerspiegelten - diese Frau vermochte ihn fast dazu zu bringen, daß er hierbleiben wollte. »Ich muß zurückkehren«, sagte er streng und blickte auf die Briefe zurück.
»Ich weiß, es ist alles schrecklich wichtig; aber das ist vor einer so langen Zeit geschehen und scheint doch ein gutes Ende genommen zu haben. Ihre Mutter hat wieder einen reichen Mann geheiratet und ihren Lebensabend in Luxus verbringen können. Es war doch nicht so, daß man sie in den Schnee hinausgejagt hätte oder so was Ähnliches. Und ich bin mir zwar bewußt, daß Ihre Familie den Stafford-Besitz verloren hat, aber was ist denn heute davon übriggeblieben?
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