Mehr Sex weniger Abwasch
Cassano ging es wie folgt weiter: Bis 2008 war offenkundig, dass er und seine Abteilung dabei waren, viel Geld zu verlieren. Seit Jahren hatten sie riesige Gewinne eingefahren, indem sie Milliarden von Dollar als Schulden abgeschrieben hatten – Schulden, die als Kreditderivate in anderen Finanzinstituten steckten, was bedeutete, dass Rückzahlungen seitens der AIG nur im Falle eines Wertverfalles der Schulden fällig würden. In der Zwischenzeit konnten Cassano und seine Mitarbeiter getrost ihre Prämien einstreichen. Sie setzten einfach als gegeben voraus, dass es nicht zu einer vorzeitigen Fälligkeit der Schulden ( Obligation Default) kommen würde.
Falsch gedacht.
Im Jahr 2007 holte die US -amerikanische Immobilienkrise auch Cassano ein, und schon bald begann das vermeintlich sichere Finanzgeschäft Milliardenverluste zu verursachen. Cassanos Abteilung war dabei, AIG zu verramschen. Zum Glück für ihn gaben die US -amerikanischen Steuerzahler 182,5 Milliarden Dollar aus, um das Unternehmen zu retten. Doch Cassanos Team war ganz vorne mit dabei, die Hypothekenkrise, die die amerikanische Wirtschaft in die Knie zwang, noch weiter anzuheizen.
Und das Beste für Joe Cassano: Er blieb ein reicher Mann. Er durfte seine Boni behalten. Und seinen Job. AIG behielt ihn an Bord, damit er, bei einem Monatsgehalt von einer Million Dollar, den Scherbenhaufen aufräumte, den er hinterlassen hatte. (Was einen zornigen Kongressabgeordneten dazu bewog, Hank Greenberg zu fragen, was man eigentlich tun müsse, um gefeuert zu werden.) 7
Wir lernen aus diesem Beispiel, dass scheinbar simple Anreize (mehr Lohn zahlen, bessere Arbeit bekommen) nach hinten losgehen können, wenn sie nicht klug durchdacht sind. In Cassanos Fall nutzten die satten Boni von AIG rein gar nichts, denn sie garantierten den Börsenspekulanten eine Gewinnbeteiligung von 30 bis 35 Prozent ohne Rückzahlungspflicht, auch im Falle einer Pleite der AIG . Hier wurde also der finanzielle Anreiz zum Ziel, und nicht die langfristige wirtschaftliche Gesundheit von AIG – eine todsichere Methode, mit Anreizen baden zu gehen.
Und das ist nicht etwa ein spezifisches Phänomen der Wall Street. Ökonomen haben herausgefunden, dass alle Arten von Anreizen früher oder später scheitern, auch die, die lange Zeit als todsicher galten. Bestes Beispiel dafür ist der Anreiz Geld. Wie sich zeigt, wollen die Menschen oft gar nichts mehr tun, wenn sie Geld bekommen – sich freiwillig einbringen etwa oder gute Noten anstreben. Der Grund liegt darin, dass Geld die angeborene Motivation, Gutes um des Guten willen zu vollbringen, » beiseitedrängt«. (Der Fachbegriff für diesen Typ der Motivation nennt sich » prosoziale Motivation«.) Eine Gruppe schwedischer Wirtschaftswissenschaftler kam nach Abschluss eines Forschungsxperiments zu folgendem Ergebnis: Nur 30 Prozent der Frauen, die für eine Blutspende Geld geboten bekamen, entschieden sich dafür, Blut zu spenden. Dagegen zeigten sich immerhin 52 Prozent der Frauen bereit, die dafür kein Geld geboten bekamen.
Ein weiteres Beispiel: Wenn Lehrer ausschließlich nach den Prüfungsergebnissen ihrer Schüler bewertet werden, unterrichten sie nur prüfungsorientiert. Das wirkt sich positiv auf die Prüfungsnoten, aber weniger positiv auf das eigenständige und kreative Denken unserer Kinder aus.
Strafen gegenüber einem bestimmten Verhalten können eine abschreckende Wirkung haben. Drohende Bußgelder halten die meisten Autofahrer davon ab, mit 80 Sachen durch eine 30er-Zone zu fahren; eine drohende Scheidung hindert manch einen daran, Ehebruch zu begehen; und die drohende Gefahr, den Job zu verlieren, ist ein guter Ansporn, jeden Tag zur Arbeit zu gehen. Doch die Androhung von Strafe kann auch zu weiteren Verstößen gegen die rechtlichen Normen anreizen: Nach der Einführung verschärfter Strafgesetze in Kalifornien ist die Zahl der Gewaltverbrechen im Nachbarbundesstaat Nevada angestiegen; wo der Verstoß gegen das Rauchverbot auf Flugzeugtoiletten geahndet wird, ist mit dem Diebstahl des Rauchmelders zu rechnen; weigern Sie sich, mit Ihrem Partner zu schlafen, weil Sie wütend auf ihn sind, müssen Sie damit rechnen, ihn beim Surfen auf Pornoseiten zu erwischen.
Manchmal sind jene Anreize am effektivsten, die am schwächsten oder am wenigsten wirksam erscheinen (Lob und Anerkennung für Leistung und Einsatz im Job, oder dem Partner, Freund oder Angestellten Vertrauen zu schenken). Wie wichtig es ist, die richtigen
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