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nasale Klang nicht von einer Erkältung kam.
»Bruno?«
»Ja, ja.«
»Ich bin’s, Beauchamp Day.«
»Ach so. Ja. Brauchst du schon wieder frischen Schnee?«
»Nein. Das heißt, vielleicht doch. Eigentlich will ich diesmal was ganz Besonderes.«
»Ich hab grade ’n bißchen Purple Haze da. Und ’n paar sagenhafte Black Beauties.«
»Nein. Es geht um etwas anderes. Erinnern Sie sich an diesen Freund von Ihnen, der … Schwierigkeiten bereinigt?«
Schweigen.
»Es ist nicht das, was Sie jetzt denken. Nichts Hartes. Ich brauche bloß … Na ja, es ist so eine Art Spezial … Ich meine, es ist eine spezielle Situation.«
»Das kost dich aber was.«
»Das ist mir klar. Wann können wir darüber reden?«
»Heut abend? Um acht?«
»Wo?«
»Äh … Im Doggie Diner. An der Van Ness.«
»Abgemacht. Im Doggie Diner an der Van Ness um acht.«
»Keinen Schnee, hmh?«
»Nein, Bruno. Heute nicht.«
Lady Eleven
Entgegen seinem Instinkt hatte Brian Hawkins der Frau aus dem Superman Building einen Namen gegeben.
Lady Eleven.
Er sagte sich, daß er schließlich keine krankhaften Phantasien auslebte. Sie war da wie der Mount Everest, war eine nächtliche Realität, genauso beständig und unausweichlich wie das Rattern der Cable Cars oder das Tuten der Nebelhörner auf der Bay. Da war es doch nur natürlich, ihr einen Namen zu geben.
Sie erschien verläßlich um Schlag Mitternacht (konnte eine Digitaluhr schlagen?) und ging vor dem schwachrosa Schimmer in ihrem Schlafzimmer in Stellung. Danach bewegte sie sich nur noch, um ihr Fernglas zu heben oder zu senken und nach nicht einmal zwanzig Minuten einen wenig dramatischen Abgang hinzulegen.
Sie ließ nie erkennen, daß sie um Brians Anwesenheit wußte, doch ihr Blick haftete immer nur am Fenster seines Häuschens auf dem Dach. Mit bloßem Auge betrachtet, war sie nichts als ein dunkler Fleck in dem weit entfernten Rechteck aus Licht. Aber mit dem Feldstecher waren sogar ihre Gesichtszüge auszumachen.
Ein längliches Gesicht mit einem vollen Mund, das eingerahmt war von … Ja, waren die Haare dunkelbraun? Die Farbe war nicht zu bestimmen, doch Brian entschied sich für kastanienbraun.
Die Haare fielen ihr weit über die Schultern und waren wohl hinten zusammengebunden. Sie trug einen hellen, unspektakulären Bademantel, vielleicht aus Frottee, der recht wenig vom Rest ihres Körpers enthüllte.
Etwas an ihr ließ vermuten, daß sie eben erst unter der Dusche gewesen war.
Brian fragte sich jedesmal, ob ihre Haare feucht waren und nach Herbal Essence dufteten.
Es war die sechste Nacht.
Als Brian von Perry’s nach Hause kam, mußte er unwillkürlich daran denken, wie radikal sich seine Gewohnheiten geändert hatten. Mein Gott, es war elf, und er war zu Hause!
Außerdem fiel ihm auf, daß er jetzt nach der Arbeit immer duschte. An diesem Tag verbrachte er sogar noch mehr Zeit im Bad als normalerweise und hübschte sich auf wie ein Erstsemester vor der Kennenlernfete im Haus einer Studentinnenverbindung.
Nach dem Zähneputzen und Rasieren (Rasieren?) schlüpfte er in seinen Frotteebademantel und setzte sich mit einer eselsohrigen Oui in einen Polstersessel vor dem Südfenster.
Nur noch sieben Minuten.
Der Himmel um das Dachhäuschen befand sich in wagnerianischem Aufruhr. Bombastische weiße Wolken, die aussahen wie Theaterrequisiten aus Watte, trieben an dem gespenstisch aussehenden Monolithen Superman Building vorbei. Um elf Uhr sechsundfünfzig ging im elften Stock ein Licht an.
Das Licht.
Brian ließ die Illustrierte fallen und stellte sich ans Fenster. Er griff nach dem Fernglas und konzentrierte sich auf die Höhle von Lady Eleven. Sie war noch nicht zu sehen; in ihrem Schlafzimmer rührte sich nichts.
Auch um Mitternacht war sie nicht zu sehen.
Sie hatte ihn versetzt.
Brian harrte am Fenster aus, wie betäubt von der Enttäuschung und dem Gefühl, verraten worden zu sein; wie ein Kind, das im Sommer unvermittelt aus einem Traum über den Heiligen Abend gerissen worden war. Während er unbeweglich an der kalten Fensterscheibe lehnte (die er erst am Morgen mit Windex geputzt hatte) und die unsichtbare Sirene verfluchte, die ihn dazu gebracht hatte, sich um Mitternacht zu rasieren, stieg ihm nach und nach die Hitze der Wut ins Gesicht.
Es war wohl ein ehernes Gesetz! Die Frauen, nach denen ein Mann sich verzehrte, erkannten es mit gerissener, seit Urzeiten geübter Unfehlbarkeit. Es war allein sein Begehren, das diese Frauen reizte, nicht
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