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die stärksten Männer wegen zwei Scheiben Knoblauchbrot schwul geworden!«
Sie blies.
Als sie die Kabine verließ, drehte sie sich noch einmal um und zwinkerte ihm zu. »Du brauchst nicht auf mich zu warten, Babycakes!«
Er streckte ihr die Zunge raus.
»O wie nett, Mouse. Ich liebe dich.«
»Spar dir dein Schmalz für das Schenkelwunder.«
»Was hast du vor?«
»Im Moment schwanke ich noch zwischen Shuffleboard und Selbstbefleckung.«
Sie lachte. »In der Carrousel Lounge gibt es eine Cole-Porter-Re …«
»Verschwinde jetzt endlich!«
Er las ungefähr eine Stunde und spazierte dann auf das Promenadendeck hinaus, wo er sich an die Reling lehnte und auf das Meer schaute. Hier oben, weit weg von den weißen Kunstlederschuhen und den straßbesetzten Brillen, war es leichter, sich die Kreuzfahrt vorzustellen, die durch seine Träume geisterte: Noël Coward und Gertie Lawrence. Exzentrische Witwen der besten Gesellschaft, verwegene Gigolos und Schranckoffer voll blinder Passagiere …
Alles nur romantische Selbsttäuschung. Wie seine Hoffnung auf einen Liebhaber eigentlich auch. Eine nutzlose, wenn auch harmlose Träumerei, die kaum mehr bewirkte, als ihn von der unerschütterlichen und zentralen Erkenntnis über sein Leben abzulenken: Er war allein auf der Welt. Und er würde immer allein sein.
Manche Leute – wahrscheinlich die glücklicheren – wußten mit diesem Wissen genauso umzugehen wie mit dem Wetter. Sie glitten auf der Oberfläche des Lebens dahin und erfreuten sich daran, daß sie sich selbst genug waren, und gerade deshalb fühlten sie sich nie allein. Michael wußte über diese Leute Bescheid, denn er hatte schon versucht, es ihnen nachzumachen.
Der Trick funktionierte allerdings selten. Sein Hunger war ihm immer an den Augen abzulesen.
Als er wieder in der Kabine war, rauchte er einen Joint, nahm all seinen Mut zusammen und drückte am Telefon auf den Klingelknopf für den Steward. Der Steward war fünf Minuten später da.
»Ja, Sir?«
»Hallo, George.«
»Guten Abend, Mr. Tolliver. Was kann ich für Sie tun?«
»Ja. Na ja, ich würde … Ich meine, wenn es Ihnen nicht unangenehm ist …« Er griff nach seiner Brieftasche. »George, ich möchte Ihnen das hier geben.« Er überreichte dem Steward einen Zehn-Dollar-Schein.
»Sehr freundlich, Sir.«
»George, würden Sie …? Ich habe erfahren, daß es Ihnen möglich ist, bestimmte Arrangements zu treffen … Denken Sie, Sie könnten mir etwas Eiscreme besorgen?«
»Selbstverständlich, Sir. Welche Sorte?«
»Ich weiß auch … Am besten wohl Schokolade.«
Der Steward lächelte und steckte den Geldschein in die Tasche. »Plagt Sie eines dieser späten Gelüste, hm?«
»Ja«, sagte Michael. »Das schlimmste überhaupt.«
Vita rettet den Tag
Die Relikte aus DeDes Jungmädchenzeit bevölkerten immer noch ihr altes Zimmer auf Halcyon Hill. Ein ramponiertes Beatles-Poster. Eine Steiff-Giraffe von F.A.O. Schwarz. Ein Rührstäbchen aus dem Tonga Room. Eine Schale mit getrockneten Rosenblättern aus Kotillon-Zeiten.
Nichts war verändert worden, nichts berührt, als wäre die Bewohnerin dieses schlichten, in Rosa und Grün gehaltenen kleinen Zimmers bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen und als hätte eine zwanghaft trauernde Überlebende es als einen Schrein für die Nachwelt bewahrt.
In gewisser Weise war sie natürlich auch gestorben.
Wenigstens in den Augen ihrer Mutter.
»Entschuldige, mein Schatz. Aber das ergibt für mich alles keinen Sinn.«
»Es ist eine Sache zwischen mir und Beauchamp, Mutter.«
»Ich könnte dir helfen, wenn du mich nur lassen würdest.«
»Nein, kannst du nicht. Niemand kann das.«
»Aber ich bin doch deine Mutter, mein Schatz. Es gibt sicher …«
»Vergiß es.«
»Hast du es Binky erzählt?«
DeDe wurde wütend. »Was spielt das denn für eine Rolle?«
»Ich wollte es nur wissen.«
»Du wolltest nur wissen, ob sich diese lederhäutigen alten Schlampen aus dem Francesca Club über deine ach so kostbare und wundervolle Tochter das Maul zerreißen werden!«
»DeDe!«
»Du bildest dir ein, daß Carson Callas schon morgen in der Zeitung über die Trennung schreibt und daß du dann nicht mehr hocherhobenen Hauptes im Cow Hollow Inn sitzen kannst. Tja, Pech gehabt, Mutter! Riesenpech!«
Frannie Halcyon saß auf dem Bett ihrer Tochter und starrte wie benebelt auf die Wand. »Ich habe dich noch nie so reden hören, DeDe.«
»Kann gut sein.«
»Kommt das von der Schwangerschaft?
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