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reichlich schiefer Haltung fortbewegt, weil sie sich permanent um einen Ausgleich für ihre linke Brust bemühte, die ihrem Gefühl nach kleiner war als die rechte.
»Arbeitest du heute abend?« wollte Chip wissen.
»Ich fürchte.«
»Wann hast du Schluß?« – »Um elf.«
»Okay. Hör zu. Erinnerst du dich noch an Jennifer Rabinowitz?«
»Nein.«
»Okay. Riesentitten, ja? Arbeitet im Cannery. Knopf in der Nase …«
»Hat beim Tarr-and-Feathers-Sing-along gekotzt.«
»Wer sagt das?«
»Ich sage das. Der Vollgekotzte.«
»Das hast du mir nie erzählt.«
»Entschuldige. Ich hätte es auf meine Weihnachtskarte schreiben sollen.«
Es folgte beleidigtes Schweigen. Dann: »Ich will dir einen Gefallen tun, Mann. Mach mit oder laß es bleiben.«
»Erzähl weiter. Ich hör dir zu.«
»Okay. Jennifer hat da diese Freundin …«
»Näht sich ihre Kleider selbst. Beeindruckende Persönlichkeit. Alle Mädchen im Studentinnenwohnheim fliegen total auf …«
»Mensch, was ist dir denn über die Leber gelaufen?«
»Ich bin nicht mehr so drauf, Chip. Laß mich bei so was lieber aus dem Spiel.«
»Was soll das heißen, du bist nicht mehr so drauf?«
»Alle. Erschöpft. Elf ist ein bißchen spät für …«
»Mensch! Du bist doch seit fünf Jahren nicht mehr vor zwei in der Falle gewesen!«
»Na, vielleicht werd ich ja langsam alt.«
»Ja. Vielleicht wirst du das wirklich.«
»Chip?«
»Ja?«
»Rutsch mir den Buckel runter, ja?«
In Wirklichkeit war er kein bißchen müde, nachdem er sich bei Perry’s um seinen letzten Gast gekümmert hatte. Er fühlte sich so vital, angeregt und gut gelaunt wie ein Vierzehnjähriger, der eben beschlossen hat, sich mit Fanny Hill auf dem Klo einzuschließen. Lady Eleven war das Tollste, was ihm seit Jahren passiert war.
Als er später aus der Dusche stieg, stellte er fest, daß er gegenüber der Sirene aus dem Superman Building ein starkes Gefühl der Treue verspürte. Sie gehörte ihm, und zwar im reinsten, befriedigendsten Sinn des Wortes. Und er gehörte ihr. Wenn auch nur für eine halbe Stunde.
Er hatte endlich eine Gleichgesinnte gefunden.
Liebe auf dem Dach
Die Hampton-Giddes waren die ersten, die nach dem Ballettabend eintrafen. »Wunderbare Tischlerarbeit«, schwärmte Archibald Anson Gidde, als er das neue Sonnendeck über der Wohnung seines Gastgebers sah.
Peter Cipriani nickte. »Ich habe im Mission einen obergeilen Tischler entdeckt. Spottbillig und Muskeln für zwei. Er heißt Jason oder so.«
»Heißen sie denn nicht alle Jason?«
Peter wieherte. »Oder Jonathan.«
»Hatte er einen Knopf im Ohr?«
»Nein. Aber er hatte Shorts an zum Ohnmächtigwerden. Und zu den Kniestrümpfen Komm-fick-mich-Stiefel von Lands End. Total scharf.«
»Meinst du, er bekommt eine Küche auch so gut hin?«
»Keine Ahnung. Ich kann nur sagen, welche Qualitäten er im Schlafzimmer entwickelt, meine Liebe.«
»Ohoooo«, sagte Archibald Anson Gidde.
Kurz vor Mitternacht tummelten sich auf dem Sonnendeck ganze Horden von A-Schwulen, die sich in kunstvollem Gezirpe über Glissaden und Pirouetten ergingen. Charles Hillary Lord hob einen Spatel mit Kokain an Archibald Anson Giddes linkes Nasenloch.
»Ich habe heute mit Nicky gesprochen.«
Arch inhalierte das Pulver lautstark. »Und?«
»Ich glaube, er macht mit.«
»Schön«, sagte Arch gleichgültig. »Das hilft dir sicher weiter.«
»Wir brauchen keine Hilfe, Arch. Die Sache läuft von selbst. Ich möchte nur, daß du von Anfang an deinen Profit daraus ziehst.«
»Dann macht es dir ja wohl nichts aus, wenn ich nein sage.«
Chuck Lord seufzte übertrieben und wies mit der Hand in weitem Bogen über die Dächer des Russian Hill. »Arch … hast du überhaupt eine Vorstellung davon, wie viele Tunten es dort draußen gibt?«
»Einen Moment. Ich seh mal in meinem Adreßbuch nach.«
»Innerhalb der Stadtgrenzen von San Francisco gibt es – und das ist noch zurückhaltend geschätzt – einhundertzwanzigtausend praktizierende Homosexuelle.«
»Und Praxis macht bekanntlich den Meister.«
»Diese einhundertzwanzigtausend Homosexuellen werden zusammen alt werden, Arch. Ein paar von ihnen werden nach Kansas zurückgehen, oder von wo sie sonst weggelaufen sind, aber der Großteil von ihnen wird hier in Shangri-la bleiben und sich gegenseitig anmachen, bis es Zeit ist für den Herzschrittmacher.«
»Ich brauche eine Valium.«
»Wann wird das endlich in deinen verdammten Schädel hineingehen, Arch? Wir haben
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