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dann mein Blackout ein.«
»Was ist mit deinen Eltern? Du konntest doch nicht einfach für drei Jahre verschwinden. Du mußt ihnen doch geschrieben haben oder so.«
»Nicht genug, als daß sie wirklich gewußt hätten, was los ist. Nur so Mir-geht-es-gut-und-macht-euch-um-mich-keine-Sorgen-Zeug. Ich habe einige Zeit auf dem Nob Hill gewohnt, das weiß ich. Und ab und zu habe ich öde Aushilfsjobs angenommen – so Schreibkram. Ich habe manchmal Gottesdienste in der Grace Cathedral besucht.«
»Na, wenigstens erinnerst du dich an irgendwas. «
Er schüttelte den Kopf. »Das habe ich alles in meinen Briefen geschrieben. Erinnern kann ich mich an kein bißchen was.«
»Du meinst, es gibt keinen Nachweis darüber, was du … keinen Beleg dafür, wo du warst oder womit du dein Leben …«
»Moment!« Er blieb plötzlich stehen und kramte in seinen Taschen. »Halt die Hand auf«, forderte er sie auf. Etwas zögerlich kam sie seinem Wunsch nach. Burke drückte ihr etwas Kleines aus Metall in die Hand.
»Ein Schlüssel«, sagte sie ausdruckslos. »Was soll das heißen?«
»Sag du’s mir. Er ist alles, was von mir übrig ist.«
»Wie?«
»Er war in meiner Tasche, als sie mich im Park gefunden haben. In meiner Hemdtasche.«
Sie schaute sich den Schlüssel genauer an. »Er ist … kleiner als ein Wohnungs- oder ein Autoschlüssel. Er könnte …« Sie gab schulterzuckend auf.
Er lächelte und zuckte ebenfalls mit den Schultern. Er sah wieder aus wie ein Collie. Sanft, rotgolden und verletzlicher als in ihren wildesten Phantasien. Im selben Augenblick wußte sie, warum sie ihn von Anfang an geliebt hatte. Er war ein unbeschriebenes Blatt, war ganz und gar jungfräulich …
Und sie konnte ihm zeigen, wo es langging.
Zurück nach Babel
Da waren sie nun wieder, waren wieder da, wo sie sich kennengelernt hatten, in der schäbigen alten Greyhound-Station an der Seventh Street in San Francisco.
Mona spürte einen unerwarteten Nostalgieschauer, als sie sich in der Snackbar umschaute, während Mother Mucca ihren Kaffee lautstark aus dem Löffel schlürfte. Die alte Frau war immer noch widerborstig, aber wenigstens hatte sie sich auf diesen Besuch eingelassen.
Es war erst drei Tage her, daß Mona ihr alles über Andy/ Anna erzählt hatte.
Und bis zur Wiedervereinigung von Mutter und Kind war es nur noch eine Stunde.
Mother Mucca rülpste. »Mir is gar nich wohl«, maulte sie.
»Fangen Sie jetzt nicht wieder mit der Tour an.«
»Mach ich doch gar nich, Mona. Mein Magen ist nicht ganz …«
»Ihrem Magen geht es ganz prima. Sie sind bloß nervös, Mother Mucca. Das macht nichts. Es ist doch nicht schlimm, wenn man ein bißchen …«
»Ich find das aber schlimm, Mädchen. Es is einfach nich der richtige Moment, daß ich …«
»Bitte, Mother Mucca! Ich weiß, daß Sie das schaffen. Wir haben das schon einmal durchgekaut und waren beide der Meinung, daß … Na ja, es ist einfach das Beste.«
Die alte Frau zog verstimmt den Kopf ein. »Für dich vielleicht.«
»Für uns alle. «
»Mein Gott, ich hab meinen Sohn geschlagne vierzig Jahre nich gesehen!«
Mona verzog das Gesicht. »Ihre Tochter.«
»Hmhh?«
»Sie ist jetzt Ihre Tochter. Ich weiß, das ist schwer zu verkraften, aber es wäre so wichtig für Mrs. Madrigal … ich meine, für Anna. Versuchen Sie, das im Kopf zu behalten, ja?«
Mother Mucca weigerte sich, sie anzusehen. »Ich behalt immer alles im Kopf.«
»Sie sollen nicht alles im Kopf behalten. Bloß Ihre Tochter. Bloß Anna.«
»Bei mir hat er Andy geheißen. Sechzehn Jahre lang!«
»Ich weiß, aber es hat sich eine Menge geändert. Sie müssen sich auch geändert haben.«
»Wer behauptet so was?«
»Ach, seien Sie doch nicht so.«
»Wie sieht er denn aus?«
»Das hab ich Ihnen doch schon erzählt.«
»Mein Gott, dann erzählstes mir halt noch mal!«
Mona suchte nach einer anderen Charakterisierung. »Sie wirkt sehr … majestätisch.«
Ihre Großmutter schnaubte verächtlich. »Klingt verdammt nach Rennpferd.«
»Dann gucken Sie eben selber.«
»Sieht er … mir ähnlich?«
»Das müssen Sie mal abwarten.«
Wütend starrte Mother Mucca zuerst ihre Enkeltochter an, dann einen pickligen Teenager in Glitzerschuhen, der einen Tisch weiter einen Doughnut aß. »Nix wie Irre in dieser Stadt«, knurrte sie.
Sobald Mona die Barbary Lane sah, klopfte ihr das Herz bis zum Hals. In dem begrünten Großstadt-Canyon hatte sich nichts verändert. Die Katzen liefen noch immer herum, und
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