Mehr Stadtgeschichten
weiß?«
»Mhm.« Jon vertiefte sich wieder in seine Zeitschrift.
Michael hörte auf zu lesen und kostete diese ungekannte und noch junge Form des Nichtstuns aus. Sein ganzes Erwachsenenleben lang hatte er jemanden gesucht, mit dem er im Bett nichts tun konnte. Und nun hatte er diesen Jemand gefunden, diesen klugen, großzügigen Menschen, dessen Liebe so stark war, daß der Sex wieder in den Bereich des Möglichen rückte.
Jon hielt sein Heft hoch. »Ist das nicht prachtvoll?« Es war ein frühes Foto des Pacific Union Club, des palastartigen, in Stein errichteten Gebäudes, das noch immer die Spitze des Nob Hill zierte.
Michael wackelte anerkennend mit dem Kopf. »Wenn man sich vorstellt, daß ein Club dermaßen viel Geld hat!«
»Der Club war doch gar nicht der Bauherr. Das waren die Floods.«
»Die Floods?«
»Die Familie Flood. Sie gehörte früher zum ganz großen Geld.«
Michael zog die Augenbrauen hoch. »Meinst du nicht auch …?«
»Was?«
»Mein Gott!« kreischte Michael. »Das könnte es sein, Jon. Das könnte es sein. «
Der Berg der Flut
Es war schon spät, aber Michael war viel zu aufgeregt, um mit seinem Anruf bei Mary Ann bis zum nächsten Tag zu warten.
»Ajax Detective Service hier.«
»Mouse?«
»Du hast dir wohl eingebildet, daß du mich mit diesem dämlichen Gedicht schaffst, was?«
»Hast du was rausgekriegt?«
»Mais naturellement! Kannst du runterkommen?«
»Und ob ich kann!« Sie legte ohne weiteren Kommentar auf.
Jon deponierte den Architectural Digest auf dem Nachttisch. »Soll ich aufstehen?«
»Warum?« fragte Michael.
»Kommt sie nicht runter?«
Michael sah leicht beleidigt drein. »Ich glaube, sie weiß, daß wir in einem Bett schlafen, Jon.«
»Ich weiß, aber …« Der Doktor mußte über sich selbst lächeln. »Ich komme mir vor wie Nora Charles in Mordsache › Dünner Mann‹ oder so.«
Michael zupfte am Revers von Jons Pyjama. »Kein Problem. Du hast ja dein Négligé an.«
Gleich darauf hörten sie, wie Mary Ann draußen auf dem Flur sittsam an die Tür klopfte. »Es ist offen«, rief Michael.
Als Mary Ann vorsichtig ins Schlafzimmer lugte, sorgte Michael dafür, daß sich kein verlegenes Schweigen einstellte. »Denk dir nichts dabei«, sagte er grinsend. »Tu einfach so, als wären wir Starsky und Hutch.«
Mary Ann kicherte. »Ihr seht wirklich ein bißchen aus wie die beiden.« Sie holte sich einen Stuhl ans Bett. »Ich hoffe, es macht dir nichts aus, daß ich hier so eindringe, Jon.«
Jon lächelte. »Ich bin doch selber schon ganz gespannt auf die Lösung.«
»Eigentlich«, fügte Michael hinzu, »hat Jon auch den entscheidenden Hinweis geliefert.«
Mary Ann hielt es kaum mehr in ihrem Sessel. »Erzähl, erzähl!«
Michael lächelte geheimnisvoll und steigerte die Spannung noch mehr. »Ich glaube, daß es in Burkes kleinem Traumgedicht um den PU Club geht.«
»Um was?«
»Um den PU Club, du Landpomeranze! Um den Pacific Union Club oben auf dem Nob Hill.«
»Um dieses rote Ziegelding?«
Michael nickte. »Ein Mann namens Flood hat es bauen lassen, und das macht den Nob Hill zum Berg der Flut! Außerdem ist der PU Club nicht bloß eine Sekte, er ist unsere älteste Sekte. Denk doch mal an diese viel zu gut gepolsterten alten Arschlöcher von Bankern, die in viel zu gut gepolsterten Sesseln rumsitzen!«
Mary Ann war die Kinnlade runtergefallen. »Aber, Mouse, glaubst du denn, daß sie das Gedicht bei einem ihrer Rituale aufsagen, oder was?«
»Paßt das nicht ganz wunderbar?«
Mary Ann dachte einen Augenblick nach. »Na ja, dieses Stück paßt. Aber was ist mit dem Rest? Mit dem Kreuzungspunkt der Linien zum Beispiel?«
Jon, der bis dahin gespannt zugehört hatte, konnte sich die Frage nicht verkneifen: »Was hat es mit diesem Kreuzungspunkt der Linien denn auf sich?«
»Das ist einTeil des Gedichts«, klärte Michael ihn auf. »›Hoch auf dem geheiligten Stein/ Leuchtet die inkarnierte Rose/ Über dem Berg der Flut/Am Kreuzungspunkt der Linien.‹«
Jon grinste. »Vielleicht ziehen sie sich im PU Club Koks rein.«
»Das ist die Erklärung, an die Burke auch glaubt«, sagte Mary Ann.
Michael legte Widerspruch ein. »Im PU Club schnupft man nicht, und damit basta.«
»Halt!« rief Jon. »Was ist mit den Cable Cars?«
»Was soll mit denen sein?« fragte Mary Ann.
»Die Linien der Cable Car. Sie kreuzen sich an der Ecke California und Powell, und das ist nur einen Block vom PU Club entfernt!«
Mary Ann und Michael kreischten im Chor.
Weitere Kostenlose Bücher