Mein Amerika: Erinnerungen an eine ganz normale Kindheit
nur zu dem Zweck dorthin gestellt worden. Oder ein pickliger Ladenschwengel konnte einen von hinten an der Schulter packen und mit lauter Stimme auszanken oder Dad selbst auf einmal hinter einem auftauchen, während man noch hektisch dabei war, die Seiten zu finden, auf denen Kim Novak sich auf einem flauschigen Teppich räkelte und Luft zufächelte. Auch hier war praktisch kein Vergnügen und sehr wenig Aufklärung drin. Doch vergessen Sie nicht, es war das Zeitalter, in dem man verhaftet werden konnte, weil man Bier auf seinem Busen transportierte oder ein nicht näher spezifiziertes Verbrechen wider die Natur beging, und die Konsequenzen, wenn man in einem Familiendrugstore mit Fotos nackter Frauen in der Hand erwischt wurde, waren gar nicht auszudenken. Ganz bestimmt aber würden Blitzlichtlämpchen knallen, der WHO-TV-Ü-Wagen für Verbrechensschauplätze zur Stelle sein, Balkenüberschriften in der Zeitung und viele tausend Stunden gemeinnütziger Arbeit folgen.
Im Großen und Ganzen musste man deshalb mit Unterwäschedoppelseiten in Versandhauskatalogen oder Anzeigen in Hochglanzpostillen vorliebnehmen, was zwar nach Verzweiflung roch, aber zumindest nicht gesetzwidrig war. Maidenform, ein Büstenhalterhersteller, brachte in den 1950er Jahren eine bekannte Zeitungsanzeigenserie, in denen sich Frauen vorstellten, dass sie an öffentlichen Orten nur halb bekleidet waren. »Ich habe geträumt, ich sei in meinem Maidenform-BH in einem Juweliergeschäft gewesen«, lautete die Überschrift einer Anzeige, begleitet vom Foto einer Frau, die mit Hut, Rock, Schuhen, Schmuck und einem Maidenform-BH – kurzum, allem, nur keiner Bluse – vor einer Glasvitrine bei Tiffany’s oder etwas Ähnlichem stand. Die Bilder hatten etwas zutiefst – und ich nehme an, ungesund – Erotisches. Bedauerlicherweise brachte Maidenform mit unfehlbarem Instinkt immer Mannequins in fortgeschrittenem Alter, die von vornherein schon nicht übermäßig attraktiv gewesen sein mochten. Und die BHs der Jahre sahen wie Stützapparate aus dem Sanitätshaus aus, so dass sie eher nicht zum wilden Fantasieren einluden. Es war schon eine Schande, wie da ein vielversprechendes erotisches Konzept in den Sand gesetzt wurde.
Trotz seiner Mängel wurde der Ansatz allenthalben kopiert. Sarong, ein Hersteller von Korsetts, die so robust waren, dass sie schusssicher aussahen, ging ähnlich vor mit einer Serie von Anzeigen, auf denen Frauen von überraschenden Windböen erwischt wurden und ihre Korsetts zu ihrem äußersten Bestürzen wie zum entzückten Grinsen aller männlichen Wesen in einem Umkreis von 50 Metern in situ zeigten. Ich habe eine Anzeige aus dem Jahr 1956 vor mir, auf der einem Northwest-Airlines-Flugzeug eine Frau entsteigt, deren Pelzmantel zur Unzeit aufgeflogen ist (offenbar wegen eines lokal extrem begrenzten Schirokkos, der irgendwo direkt unter und zwischen ihren Beinen tobt), und enthüllt, dass sie einen Strumpfbandgürtel Modell 124 aus besticktem Nylon-Marquisette-Stoff der Marke Sarong trägt (zum Preis von 13,95 Dollar in allen guten Fachgeschäften erhältlich). Doch – und das hat mich seit 1956 nicht mehr losgelassen – die Frau trägt eindeutig keinen Rock oder sonst etwas zwischen ihrem Strumpfbandgürtel und Mantel, wobei sich sofort die brisante Frage stellt, was sie denn anhatte, als sie an Bord des Flugzeugs stieg. Ist sie den ganzen Weg von (sagen wir mal) Tulsa nach Minneapolis ohne Rock geflogen, oder hat sie ihn unterwegs ausgezogen – und wenn ja, warum?
Sarong-Anzeigen erfreuten sich in meinen Kreisen einer gewissen Anhängerschaft – mein Freund Doug Willoughby war ein großer Fan –, doch ich fand sie immer merkwürdig, unlogisch und einen Hauch pervers. »Die Frau kann doch nicht ohne Rock durchs halbe Land gereist sein«, bemerkte ich wiederholt, sogar ein wenig erhitzt. Willoughby gab das auch widerspruchslos zu, bestand aber darauf, dass genau das die Sarong-Anzeigen so ansprechend mache. Trotzdem, Sie werden mir zustimmen, es ist ein trauriges Zeitalter, wenn man nichts Pikanteres findet als das Foto einer entsetzten Frau mit einem teilweise enthüllten Hüfthalter in einer Illustrierten der eigenen Mutter.
Doch wie es der Zufall so wollte, hatten wir in Des Moines die erotischste Statue der Nation. Sie gehört zu dem großen Bürgerkriegsdenkmal des Staates Iowa auf dem Gelände des Capitol, heißt »Iowa« und ist eine sitzende Frau, die ihre nackten Brüste in Händen hält, ja, sie überraschend
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