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Mein Amerika: Erinnerungen an eine ganz normale Kindheit

Mein Amerika: Erinnerungen an eine ganz normale Kindheit

Titel: Mein Amerika: Erinnerungen an eine ganz normale Kindheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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bewegte und nur soeben der Notwendigkeit bewusst zu sein schien, dass man gelegentlich das Steuer drehen musste. Alle in der kleinen Straße wussten, dass man zwischen zehn und zwölf Uhr besser nicht versuchte, irgendwohin zu fahren, denn Mrs. Vandermeister holte ihr Auto raus.
    Weitreichendere Berühmtheit erlangte sie, wenn sie erst einmal die Straße erobert hatte. Obwohl es bis Dahl’s nur etwas über einen Kilometer war, sorgte ihre Fahrweise für Szenen, die an das jährliche Stiertreiben durch die Straßen von Pamplona gemahnten. Sowohl Motorisierte als auch Fußgänger stoben in panischer Angst vor ihr zur Seite. Und es stimmte ja auch:Wenn Mrs. Vandermeisters Auto auf der Straße auf einen zufuhr, war das ein beängstigender Anblick. Zunächst einmal sah es aus, als sei das Fahrzeug führerlos, so extrem winzig war sie, und es fuhr ja auch wie führerlos, denn es bewegte sich selten in seiner Gänze auf der Fahrbahn, besonders dann nicht, wenn es um Kurven holperte. Normalerweise schlugen unter ihrem Fahrwerk auch recht umfängliche Gegenstände Funken – ein Motorrad, eine Mülltonne, ihre Gehhilfe –, die sie unterwegs aufgesammelt hatte und nun auf allen ihren Wegen mitnahm.
    Das Geld bei Mrs. Vandermeister einzutreiben war ein nicht enden wollender Alptraum. In ihrer Haustür war ein kleines Fenster, durch das man ungehindert in den Flur bis zum Wohnzimmer schauen konnte. Wenn man eine Stunde und zehn Minuten lang alle fünfzehn Sekunden auf ihre Türklingel drückte, bemerkte sie, das wusste man, normalerweise endlich, dass jemand an der Tür war. Dann schrie sie nämlich »Na, wer zum Teufel ist denn das?« in sich hinein und begann mit dem abendfüllenden Programm, sich von ihrem Sessel zur Haustür zu begeben, eine Strecke von siebeneinhalb Metern, auf der sie ihre Gehhilfe vor sich herstieß und -schubste. Nach circa 20 Minuten erreichte sie den Flur und kam mit etwa der Geschwindigkeit, in der Eis schmilzt, zur Haustür. Manchmal vergaß sie, wo sie hinwollte, und schickte sich an, einen Umweg über die Küche oder die Toilette zu machen, und dann musste man wie ein Berserker klingeln, um sie wieder auf Kurs zu bringen. Wenn sie endlich an der Tür angekommen war, galt es, sie in einer zusätzlichen halben Stunde davon zu überzeugen, dass man kein Mörder war.
    »Ich bin der Zeitungsjunge, Mrs. Vandermeister!«, schrie man ihr durch die kleine Glasscheibe zu.
    »Billy Bryson ist mein Zeitungsjunge!«, schrie sie zurück.
    »Ich bin Billy Bryson! Schauen Sie mich durchs Fenster an, Mrs. Vandermeister! Hier oben, schauen Sie! Sie können mich sehen, wenn Sie hier hochschauen, Mrs. Vandermeister!«
    »Billy Bryson wohnt drei Häuser weiter!«, schrie dann Mrs. Vandermeister. »Das ist das falsche Haus! Warum bist du denn hierhergekommen?«
    »Mrs. Vandermeister, ich sammle das Zeitungsgeld ein! Sie schulden mir drei Dollar und 60 Cents!«
    Wenn man sie endlich dazu gebracht hatte, die Tür aufzuzerren, war sie immer überrascht, dass man da stand. »Ach Billy! Du hast mir aber einen Schrecken eingejagt!«, sagte sie, und dann dauerte es wieder eine kleine Ewigkeit, in der sie, die Alzheimer-Erkennungsmelodie vor sich hin summend, erneut losschlurfte und wackelte, um ihre Geldbörse zu suchen, noch eine halbe Stunde, in der sie zurückkam und fragte: »Wie viel noch mal?«, in ihrer Vergesslichkeit noch einen Umweg über Toilette oder Küche versuchte, und ganz zum Schluss verkündete, sie habe nicht so viel Bargeld da und man solle bei späterer Gelegenheit noch einmal vorbeikommen.
    »Du solltest nicht so lange damit warten!«, schrie sie. »Es sind nur ein Dollar 20 alle zwei Wochen. Erzähl das Billy, wenn du ihn siehst.«
    Wenigstens konnte Mrs. Vandermeister zu ihrer Entlastung vorbringen, dass sie uralt und nicht mehr im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte war. Was mich auf die Palme brachte, war, wenn normale Leute mich wieder wegschickten, meist, weil sie keine Lust hatten, ihre Geldbörsen zu holen. Je reicher die Leute waren, desto eher schickten sie einen wieder weg – immer mit einer Ausrede und einem weltentrückten Lächeln – »Ach, kannst du mir das jemals verzeihen?«
    »Schon gut, schon gut, meine Dame. Ich schleppe mich gern am kältesten Abend des Jahres die zweieinhalb Kilometer durch den hohen Schnee hierher und gehe mit leeren Händen, weil Sie Muffins in Ihrem verdammten Ofen haben und Ihr Nagellack trocknet. Kein Problem!«
    Natürlich sagte ich nie dergleichen, aber ich

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