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Mein Amerika: Erinnerungen an eine ganz normale Kindheit

Mein Amerika: Erinnerungen an eine ganz normale Kindheit

Titel: Mein Amerika: Erinnerungen an eine ganz normale Kindheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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die Fenster im Blank Hospital riefen, wussten nicht, in welcher Gruppe ihr Kind landen würde. Die Krankheit bot in jeder Hinsicht Grund für die schlimmsten Ängste.
    Kein Wunder, dass regelrechte Panik ausbrach, wenn irgendwo Kinderlähmung gemeldet wurde. In Growing Up with Dick and Jane steht, dass die Kinder beim ersten Zeichen einer Epidemie »von menschenüberlaufenen Freibädern ferngehalten, aus Kinos herausgezerrt und mitten in der Nacht aus Sommerferienlagern gerissen und nach Hause gebracht wurden. Bilder von Kindern, die Tod oder Lähmung oder Jahren in einer eisernen Lunge entgegensahen, ängstigten eine bange Nation. Kinder gerieten beim Anblick von Fliegen oder Mücken, die angeblich den Virus trugen, in Angst und Schrecken. Eltern sorgten sich schon bei Fieber und Beschwerden über Halsschmerzen oder steife Nacken.«
    Also, mir ist das alles vollkommen neu. Ich bekam von einer Angst vor Polio nichts mit. Ich wusste, dass es Polio gab – nach Mitte der Fünfziger mussten wir uns von Zeit zu Zeit in einer Reihe aufstellen und wurden dagegen geimpft –, doch ich wusste nicht, dass wir auch Angst davor haben mussten. Ich wusste von keinerlei Gefahren, egal, wie und wo. Eigentlich ein wunderbarer Zustand. Ich wuchs in einer Zeit auf, in der man am meisten Grund für die verschiedensten Ängste haben musste, und hatte keinen blassen Schimmer.

    Als ich sieben und meine Schwester zwölf war, kaufte mein Vater einen blauen Ford-Rambler-Kombi (ein so schrottiges, stilloses Auto, dass sogar Besitzer von Ford Edsels langsamer fuhren und einen auslachten) und beschloss, ihn mit einer Reise nach New York einzufahren. Das Auto hatte keine Klimaanlage, doch meine Schwester und ich fanden heraus, dass wir aus dem Wageninneren entkommen und uns von einer hübschen, kühlen Brise umwehen lassen konnten, wenn wir die Heckklappe herunterklappten, uns daraufstellten und oben am Dachgepäckträger festhielten. Es war natürlich eher wie durch einen Taifun zu fahren und brandgefährlich. Wenn wir auch nur einen Moment losgelassen hätten – um zu niesen oder uns zu kratzen, wenn es juckte –, wären wir glatt von unserer kleinen Plattform weggerissen und auf den Kühler eines riesigen Mack-Lastwagens geschleudert worden.
    Oder wenn umgekehrt mein Vater aus irgendeinem Grunde gebremst hätte, standen die Chancen gut, dass wir zur Seite in ein Feld geworfen oder nach vorn einem anderen mächtigen Mack in den Weg geschleudert, nein, geschossen worden wären. (Und mein Vater bot uns nach dem Motto »Und nun festhalten, bitte!« mindestens drei-, viermal am Tag jähe Schwenks und Sprünge wie von einem bockenden Wildpferd, wenn er auf die Bremse trat, weil er eine angezündete Zigarette auf den Sitz zwischen seine Beine hatte fallen lassen und er und meine Mutter sich gemeinsam auf eine hektische, doch stets unterhaltsame Suche danach begaben.)
    Kurzum, was meine Schwester und ich taten, war geradezu hirnrissig riskant. Auf den Gedanken kam offenbar auch ein Autobahnpolizist bei Ashtabula, Ohio, der sein rotes Licht anwarf, meinen Vater herauswinkte und ihn 20 Minuten lang mächtig zusammenstauchte, weil er in Fragen der Sicherheit seiner Kinder offenbar so kolossal bekloppt war. Mein Vater nahm alles demütig zur Kenntnis. Doch als der Polizist wegfuhr, sagte er uns ganz gelassen, wir dürften erst wieder so fahren, wenn wir in ein, zwei Stunden die Staatsgrenze nach Pennsylvania überquert hätten.
    Es war kein guter Trip für meinen Vater. Er hatte mittels einer Kleinanzeige in der Saturday Review ein wunderbar preiswertes Hotel in New York gebucht und entdeckte nun, dass es in Harlem lag. Während meine Eltern am ersten Abend dort auf dem Bett lagen, erschöpft von der Zerreißprobe, den Weg von Iowa zur 1252th Street in Upper Manhattan zu finden – keine Route, die im Führer der amerikanischen Automobilclubs ausgezeichnet war –, beschlossen meine Schwester und ich, was essen zu gehen. Wir schlenderten eine Weile lang durch das Viertel und fanden einen Diner an einer Ecke zwei Straßen entfernt. Während wir dasaßen, unsere Hamburger und Milchshakes genossen und friedlich schiedlich mit mehreren Schwarzen plauderten, glitt ein Polizeiwagen vorbei, hielt an, fuhr zurück, parkte. Zwei Beamte kamen herein, schauten sich argwöhnisch um, traten zu uns. Einer fragte, von wo wir kämen.
    »Aus Des Moines, Iowa«, erwiderte meine Schwester.
    »Des Moines, Iowa «, sagte der Polizist erstaunt. »Wie seid ihr denn von Des

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