Mein Amerika: Erinnerungen an eine ganz normale Kindheit
Verteidigungsminister, erzählt in seinen Memoiren, dass die Joint Chiefs of Staff, die Vereinigten Oberbefehlshaber, vorschlugen – ja, eifrig darauf drängten –, Kuba mit ein paar Atombomben einzudecken, nur um zu zeigen, dass wir es ernst meinten, und damit die Sowjets kapierten, dass sie nicht einmal im Traum daran denken sollten, Atomwaffen in unserem Hinterhof zu stationieren. Und laut McNamara war Kennedy sehr kurz davor, einen solchen Schlag anzuordnen.
Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion 29 Jahre später erfuhren wir, dass die Beweise der CIA, was Kuba betraf, hinten und vorne unzureichend waren (na, was für eine Überraschung) und dass die Sowjets in Wirklichkeit schon ungefähr 170 Atomraketen auf kubanischem Boden stationiert hatten, die natürlich alle auf uns gerichtet waren und alle zur sofortigen Vergeltung für einen US-amerikanischen Angriff hätten abgeschossen werden können. Stellen Sie sich die Vereinigten Staaten vor, wenn 170 seiner größten Städte ausgelöscht worden wären – wozu, das soll nicht verschwiegen werden, auch Des Moines gehört hätte. Und natürlich hätte es damit nicht sein Bewenden gehabt. Wir waren dem Tod alle sehr, sehr nah.
Seitdem habe ich Erwachsenen keine Sekunde mehr über den Weg getraut.
XII
Unterwegs
Jackson, Mich. (AP) – Ein halbwüchsiges Mädchen und sein zwölfjähriger Bruder wurden am Samstag von der Polizei wegen Mordversuchs an den Eltern festgenommen. Sie sollen, als diese schliefen, Benzin auf deren Bett geschüttet und es angezündet haben. Ihre Eltern, erzählten die Kinder der Polizei, seien »zu streng und meckerten immer«. Mr. und Mrs. Sterling Baker erlitten Verbrennungen, die über 50 Prozent ihrer Körperoberfläche betrafen, wurden aber in einigermaßen stabilem Zustand in ein Krankenhaus eingeliefert.
Des Moines Tribune , 13. Juni 1959
Bild 16
J eden Sommer, wenn die Schulferien schon eine Weile lang währten und die Eltern einen keinen Tag länger ertragen konnten, kam der allseits gefürchtete Moment, in dem sie einen nach Riverview schickten, einem kleinen, verrotteten Rummelplatz in einem öden Einkaufsviertel am nördlichen Ende der Stadt. Man bekam zwei Dollar in die Tasche und die Anweisung, sich mindestens acht Stunden lang zu amüsieren, wenn möglich, länger.
Auf dem Riverview-Rummelplatz war alles ganz furchtbar. Die Achterbahn, ein Massiv von Himalajaausmaßen aus alterndem Holz war die baufälligste, vertrauenzerstörendste Anlage der Welt. Die Wagen waren innen und außen mit 35 Jahre altem verschüttetem Popcorn und hysterisch Erbrochenem verschmutzt. Das Ganze war 1920 erbaut worden, und man spürte sein Alter in jedem ächzenden Gelenk und jeder abgesplitterten Querverstrebung. Es war enorm groß – ungefähr sechs Kilometer lang, glaube ich, und 3600 Kilometer hoch. Es war das bei weitem furchteinflößendste Karusell, das je gebaut wurde. Die Leute schrien nicht mal, wenn sie darin saßen; sie waren zu versteinert, um überhaupt einen Laut von sich zu geben. Wenn die Achterbahn fuhr, bebte der Boden immer heftiger, und ein Schauer – eigentlich eine Lawine – Staub und uralter Vogeldreck ergoss sich aus ihrem versifften Gestänge. Einen Moment später kam die erste Ladung Erbrochenes.
Die Burschen, die an den Karusells arbeiteten, waren alle ein getreuer Abklatsch von Richard Speck, dem Chicagoer Massenmörder. Ihr Arbeitsleben verbrachten sie damit, an Pickeln herumzudrücken und mit Gruppen aufgekratzter junger Frauen mit weißen Socken zu plaudern, die sich aus unerfindlichen Gründen um sie scharten. Die Karussells hatten keine Zeitschalter. Wenn sich die dort Arbeitenden also in ihre Kartenverkaufshäuschen zurückzogen, um sexuell aktiv zu werden, oder wenn sie beim Auftauchen von zwei Männern mit Haftbefehlen über den Zaun und eine weite offene Fläche dahinter flohen, blieben die Leute auf unbegrenzte Zeit in dem fahrenden Karussell – tagelang, wenn der Angestellte mit einem entscheidenden Schlüssel oder einer wichtigen Kurbel getürmt war. Ich kannte einen Jungen, der Gus Mahoney hieß und den Beschleunigungskräften so lange ausgesetzt war, dass er noch drei Monate später sein Haar nicht nach vorn kämmen konnte und seine Ohren an seinem Hinterkopf fast zusammenstießen.
Auch bei den Autoscootern herrschte ein geradezu irrsinniges Treiben. Aus der Ferne sah der Autoscooter-Palast wie eine Schweißerwerkstatt aus, weil die Funken in Massen von der Decke regneten, stets in das Auto
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