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Mein Amerika: Erinnerungen an eine ganz normale Kindheit

Mein Amerika: Erinnerungen an eine ganz normale Kindheit

Titel: Mein Amerika: Erinnerungen an eine ganz normale Kindheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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Hinweis ernst meinte oder nicht, aber es war auch einerlei, weil keiner wirklich damit rechnete (zumindest nicht nach den ersten bangen Tagen des Krieges), dass die Japaner das US-amerikanische Festland angreifen würden. Als sich zur gleichen Zeit ein Kongressabgeordneter in Washington auf der anderen Seite des Landes um das Befinden von Wachsoldaten auf dem Capitol sorgte, die sich nie von ihren Posten wegzubewegen oder einen Augenblick Pause zu machen schienen, wies man ihn dezent darauf hin, dass es Schaufensterpuppen und ihre Flugabwehrgeschütze Holzmodelle seien. Männer und Kriegsgerät bei einem Ziel zu verschwenden, das doch nie getroffen werden würde, lohnte sich nicht, selbst wenn es um den Sitz der US-amerikanischen Regierung ging.

    Der guten Ordnung halber: Es gab einen bemannten Angriff auf das US-amerikanische Festland. 1942 schwang sich ein Pilot namens Nobuo Fujita von den Küstengewässern vor Oregon in einem speziell umgebauten, mit einem U-Boot dorthin expedierten Wasserflugzeug in die Luft. Hinterhältig, wie er war, wollte Fujita Brandbomben in die Wälder Oregons werfen, die Flächenbrände entzünden sollten, die, wenn alles nach Plan lief, außer Kontrolle geraten, einen Großteil der Westküste in Flammen setzen und Hunderte Menschen umbringen würden. Angesichts des riesigen Schadens, den ein kleiner schlitzäugiger Mann in einem Flugzeug angerichtet hätte, würden die Amerikaner dann völlig demoralisiert Rotz und Wasser heulen. Doch die Bomben verpufften oder entzündeten nur örtlich sehr begrenzte, folgenlose Brände.
    Über einen Zeitraum von mehreren Monaten ließen die Japaner auch etwa 9000 große Papierballons mit den vorherrschenden Winden über dem Pazifik aufsteigen, von denen jeder eine Dreißig-Pfund-Bombe trug, die 40 Stunden nach dem Start explodieren sollte – etwa der Zeit, die es nach Berechnungen der Japaner dauern würde, über den Pazifik bis zu den Vereinigten Staaten zu schweben. Die Bomben jagten aber nur eine kleine Zahl neugieriger Leutchen in die Luft, deren letzter Satz auf Erden wohl in etwa lautete: »Was zum Teufel soll denn das sein?« Ansonsten richteten sie so gut wie keinen Schaden an. Ein Ballon schaffte es sogar bis Maryland.
    Als die Sowjetunion in der Zeit des Kalten Krieges Langstreckenraketen entwickelte, die unseren in nichts nachstanden, löste sich all diese behagliche Sicherheit plötzlich in Wohlgefallen auf. Auf einmal lebten wir in einer Welt, in der, egal, wo wir waren, jeden Moment ohne jede Vorwarnung etwas grauslich Destruktives auf uns fallen konnte. Das war ein beunruhigender, ja bestürzender Gedanke, und wir reagierten darauf in einer für die fünfziger Jahre absolut typischen Art und Weise. Wir fanden es aufregend.
    Eine Reihe von Jahren konnte man kaum eine Illustrierte aufschlagen, ohne dass man von einem neuen Wunder an Zerstörungskraft erfuhr, das uns alle im Handumdrehen den Garaus machen konnte. Ein Maler namens Chesley Bonestell spezialisierte sich auf die Produktion lebensechter, opulenter Bilder von menschengemachten Blutbädern, auf denen mit Sprengköpfen beladene Raketen zu sehen waren, die herrlich (aufregend!) über den US-amerikanischen Himmel flitzten oder von gigantischen Raumstationen auf einem wunderschön leuchtenden, fabelhaft gemalten Mond gestartet wurden beziehungsweise unterwegs zu einer Sprengstoffattacke auf den Planeten Erde waren.
    Das Besondere an Bonestells Bildwerken war, dass alles wahnsinnig echt, plausibel und fotografisch exakt aussah. Es war, als schaue man etwas an, während es passierte, statt dass man sich vorstellte, wie es eines Tages sein konnte. Ich erinnere mich, wie ich mit grenzenloser Faszination und mehr als einem Hauch irregeleiteter Sehnsucht ein Bild von Bonestell in der Life betrachtete, das New York im Augenblick einer Atombombenexplosion zeigte: Eine riesige Pilzwolke erhob sich aus der vertrauten Stadtlandschaft von Manhattan, und eine zweite breitete sich über den weiter draußen liegenden Gebäuden von Queens aus. Diese Bilder sollten Angst machen, in Wirklichkeit aber waren sie aufregend. 13
    Ich meine nicht, dass wir uns tatsächlich wünschten, dass New York in die Luft flog – nein, das eigentlich nicht. Ich sage nur, dass wir auch etwas Positives daran sahen. Sicher, wir würden alle sterben, doch unser letztes Wort würde ein aufrichtig bewunderndes »Aaah!« sein.
    Dann übernahmen die Sowjets gegen Ende der fünfziger Jahre eindeutig die Führung im Wettlauf

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