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Mein Amerika: Erinnerungen an eine ganz normale Kindheit

Mein Amerika: Erinnerungen an eine ganz normale Kindheit

Titel: Mein Amerika: Erinnerungen an eine ganz normale Kindheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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freuten, war die Iowa State Fair, die Ende August auf einem enormen Messegelände weit draußen am östlichen Rand der Stadt abgehalten wurde. Es war eine der größten Messen der Nation; der Film Jahrmarkt der Liebe basierte auf der Iowa State Fair und wurde auch dort gedreht, was uns alle mit eigenartigem Stolz erfüllte, obwohl wir niemanden kannten, der den Film gesehen hatte oder etwas darüber wusste.
    Die State Fair wurde immer während der stickigsten, schwülsten Zeit des Jahres abgehalten. Stets war man in Schweiß gebadet, aß und trank ekliges Zeug – Sno Cones, Zuckerwatte, Eis am Stiel, Eissandwiches, ellenlange Hot Dogs, die in pampigem Relish schwammen, eimerweise die zuckersüßeste Limonade der Welt – und verwandelte sich zum Schluss in ein wandelndes Fliegenpapier, von Kopf bis Fuß mit farbenfrohen Flecken und festklebenden, halbtoten Insekten bedeckt.
    Auf der State Fair wurde in der Hauptsache das Leben in der Landwirtschaft gefeiert. Es gab riesige Hallen voller Steppdecken, Marmelade, fransigen Maiskolben und Tischen, auf denen kuppelförmige Pasteten mit einem Durchmesser wie Autoreifen ausgebreitet waren. Alles, was man anbauen und züchten, kochen, einmachen oder nähen konnte, wurde aus allen Ecken und Enden des Bundesstaates gewissenhaft nach Des Moines verbracht, wo man hitzige Wettbewerbe darüber ausfocht. In einer Halle der Wunder, bekannt als Haus der Gewerbe, wurden glänzende neue Traktoren und andere Industrieprodukte ausgestellt, und jedes Jahr gab es eine so genannte Butterkuh, eine lebensgroße Kuh, die aus einem gigantischen (na ja, kuhgroßen) Stück Butter geschnitzt war. Sie wurde als eines der Wunder von Iowa (und weit darüber hinaus) betrachtet und zog immer eine staunende Zuschauermenge an.
    Hinter den Ausstellungshallen gab es Reihen gewaltig stinkender Pavillons, alle mehrere Morgen groß und voller, meist von Mastschweinen bewohnter Tierpferche, und man genoss den unvergleichlichen Anblick Hunderter junger Männer, die in der Hoffnung, ein buntes Satinband zu gewinnen und Grundy Center oder Pisgah Ehre zu machen, ihr geliebtes Borstenvieh eifrig polierten, shampoonierten und striegelten. Eine merkwürdige Art, Ruhm zu suchen.
    Für die meisten Leute war die eigentliche Attraktion der Ausstellung der Mittelweg mit seinen lauten Karrussells, den Glücksspielen und allen möglichen anderen verlockenden Darbietungen. Und der Traum aller Jungs war das Zelt der Stripperinnen.
    Das Zelt der Stripperinnen hatte die hellsten Lichter und die fetzigste Musik. Von Zeit zu Zeit brachte der Anpreiser ein paar der Mädchen, keusch gewandet, heraus und ließ sie auf einer kleinen Bühne draußen paradieren, wobei er uns allen direkt in die Augen schaute und andeutete, dass diese Mädchen sich keine größere Freude im Leben vorstellen konnten, als einem Publikum aus bewundernden, heißblütigen jungen Männern einen Blick auf ihre natürlichen Reize zu gewähren. Die Mädchen sahen alle erstaunlich gut aus, doch das lag vielleicht daran, dass ich allein schon bei dem Gedanken 45 Grad Fieber bekam, mich auf demselben Planeten wie diese wunderbar entgegenkommenden jungen Frauen zu befinden. Womöglich war ich ja bereits im Delirium.
    Dumm war nur, dass wir zwölf Jahre alt waren, als wir uns ernsthaft für das Stripperinnenzelt zu interessieren begannen, man aber 13 sein musste, um hineingelassen zu werden. Ein am Eintrittskartenschalter baumelndes Schild ließ daran keinen Zweifel. Doug Willoughbys älterer Bruder Joe war 13, ging hinein und kam, zehn Zentimeter über dem Boden schwebend, wieder heraus. Er sagte nicht viel mehr, als dass er für 35 Cents in seinem ganzen Leben noch nichts Besseres gekriegt hätte. Er war so hingerissen, dass er noch drei Mal hineinging und behauptete, es sei mit jedem Mal besser.
    Natürlich umkreisten wir das Stripperinnenzelt wiederholt auf der Suche nach irgendeinem Riss, doch es war das Fort Knox der Messezelte. Der Stoff war am Saum Millimeter um Millimeter in den Boden gepfählt, jede Metallöse solide abgedichtet. Man hörte Musik, man hörte Stimmen, man sah sogar die dunklen Umrisse der Zuschauer, konnte aber nicht den Schatten einer weiblichen Gestalt erkennen. Selbst Doug Willoughby, der einfallsreichste Mensch, den ich kannte, war perplex. Das Wissen, dass sich zwischen uns und der lebenden, atmenden weiblichen Haut im Naturzustand nur diese wogende Zeltwand spannte, war die reinste Folter, doch wenn Willoughby keinen Weg hinein fand,

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